Das Wasser, in dem wir schwimmen

Kopftuch-Debatte! Beschneidungsdebatte! Kirchenprivileg-Debatte? Zum Verhältnis von Staat und Religionen aus feministischer Perspektive

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Wenn aus emanzipatorischer Sicht über religiöse Rituale oder gar Fundamentalismus gesprochen wird, geht es in der Regel um das Kopftuch, Beschneidung, die Un_Sinnigkeit von Essensvorschriften, Islamismus, orthodoxes Judentum, Ehrenmorde – selten aber um evangelikale Abtreibungsgegner*innen oder gesetzliche Sonn- und Feiertagsregelungen. „Wir sehen nicht das Wasser, in dem wir schwimmen“, darüber waren sich auch die Frauen auf dem Podium einig. Gemeint ist das durch gesetzliche Feiertage oder auch durch die Kalenderstruktur normalisierte Christentum als Teil deutscher Kultur.

Auf der Bühne saßen die Juristin Dorothee Frings, die evangelische Theologin Claudia Janssen, die Historikerin Yasemin Shooman und Hannah Tzuberi, Professorin für Judaistik. Moderiert hat die Tagesspiegel-Redakteurin Andrea Dernbach.

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Über die Illusion religiöser Neutralität waren sich die vier Frauen schnell einig: Christliche Traditionen werden als Normalität angesehen, während jüdische häufig in einen kulturellen und vor allem muslimische in einen religiösen Kontext geschoben werden, so Hannah Tzuberi. Auch hat die vermeintliche Religionsneutralität unterschiedliche Auswirkungen auf die Religionen: Während der Glaube christlicher Personen nicht von einer Kreuzkette abhängt, hängt am Hijab ein großer Teil von Religionspraxis, Identität und selbstbestimmter Performance. Dennoch wird von christlichen oder atheistischen Personen das Kopftuch wenig als Ausdruck von Religion und mehr als Unterdrückungssymbol verstanden. In westlichen Kopftuchdebatten wird Sexismus in der Regel auch als Haupt- und Rassismus als Nebenwiderspruch konstruiert – eine Rhetorik, die in einer weiß dominierten Gesellschaft unangemessen erscheint.

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Claudia Janssen zufolge hängen Antisemitismus und anti-muslimischer Rassismus auch mit dem Unwissen über die eigene Religion zusammen. Eine Förderung von Aufklärung über Religionen könnte gemeinsame Nenner sichtbar machen und Ignoranz abbauen.

Weniger wohlwollend war hingegen das Publikum, das sich bei der Öffnung des Panels in erschreckend hoher Zahl nicht nur gegen Religionen, sondern insbesondere gegen den Islam positionierte. Was denn mit den Sexismen in muslimischen Communities sei, wollte eine wissen. Yasemin Shooman entgegnete, dass es natürlich – wie in allen patriarchalen Strukturen – auch Sexismen in muslimischen Gemeinschaften gäbe. Diese externe Thematisierung lade aber zur Instrumentalisierung durch rassistische Personen ein. So sei es wichtiger, die internen Konflikte auch intern zu verhandeln.
Und ein laizistischer Staat? Würde Atheist_innen privilegieren, so Claudia Janssen.

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Im Anschluss sprach ich über das Panel und die Beziehung zwischen Staat und Religion mit Yasemin Shooman, die an der Akademie des Jüdischen Museums ein Jüdisch-Islamisches Forum aufbaut.

Worüber sprechen wir in erster Linie, wenn wir über Staat und Religion sprechen?

Das Verhältnis von Staat und Religion ist in den vergangenen Jahren in Deutschland hauptsächlich im Hinblick auf den Islam diskutiert worden, der – im Gegensatz zu den christlichen Kirchen und den jüdischen Gemeinden – bis auf wenige Ausnahmen nicht als Religionsgemeinschaft im Sinne des Staatskirchenrechts anerkannt ist. Insbesondere der Körperschaftsstatus verleiht Privilegien, darunter das Recht, Mitgliedsbeiträge zu erheben und vom Staat einziehen zu lassen, aber auch Steuerbefreiungen etc. Als erste islamische Religionsgemeinschaft hat die Ahmadiyya-Muslim-Jamaat 2013 in Hessen diesen Status erlangt. Aber auch jenseits des Körperschaftsstatus hängen viele Rechte, z.B. das Recht, bekenntnisgebundenen Religionsunterricht an staatlichen Schulen anzubieten, das Betreiben von Friedhöfen, die Vertretung in Rundfunkräten etc. prinzipiell an der Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Von einer Gleichstellung mit den anderen Religionsgemeinschaften ist der Islam in Deutschland daher noch weit entfernt.

Was wäre aus feministischer Perspektive die Utopie in Punkto Staat und Religion?

Ich glaube nicht, dass es bei diesem Thema eine feministische Perspektive gibt – sie hängt davon ab, wie frau es mit der Religion hält. Die meisten Religionen, zumindest die monotheistischen, sind patriarchal strukturiert, es ist daher verständlich, dass viele feministische Positionen eher auf Distanz zu Religionen gehen und deren größtmögliche Zurückdrängung wünschen, was im Verhältnis von Staat und Religion auf eine strikte Trennung, also Laizismus hinausläuft. Für viele andere ist Religion aber ein wichtiger Bestandteil ihrer Identität. Für sie ist eine Gesellschaft, in der alle Menschen ihren Glauben oder ihren Nichtglauben in größtmöglicher Freiheit ausleben können das Ideal, das am ehesten in einer „fördernden“ Neutralität des Staates gegenüber allen Religionen und Weltanschauungen verwirklicht werden kann.

Welche Version halten Sie für emanzipatorischer: Alle religiöse Feiertage werden gleichermaßen zelebriert oder das komplette Ausblenden aller Feiertage, also beispielsweise auch keine Weihnachtsferien?

Diese Vorstellung baut auf der Annahme auf, das Weglassen von Weihnachten oder Ostern würde unseren Kalender „neutral“ machen, was eine Illusion ist: Der Kalender ist christlich, der freie Sonntag ist christlich – wie sollte man das alles ausblenden? Ich bin eher für eine pragmatische Integration anderer wichtiger religiöser Feiertage in diesen Kalender. Das würde eine Anerkennung und Wertschätzung der religiösen Vielfalt in diesem Land signalisieren, ohne die christliche Prägung Europas zu verschleiern.

Welche Stimmen dominieren in Religionsdebatten, welche werden dadurch unsichtbar?

Das hängt wieder davon ab, welche Religionsgemeinschaft wir betrachten. Im Hinblick auf den Islam war es in den letzten Jahren so, dass im etablierten medialen Diskurs insbesondere „islamkritische“ Stimmen prominent zu Wort kamen, manchmal kontrastiert durch extrem konservative bzw. salafitische Positionen. Das große Spektrum praktizierender Muslim*innen, die sich weder von ihrer Religion losgesagt haben noch alle anderen für verdammungswürdige Ungläubige halten, konnte sich kaum Gehör verschaffen. Das gilt insbesondere für kopftuchtragende Frauen, die sich lange Zeit nicht selbst repräsentieren durften. Das ändert sich gerade ein wenig, würde ich sagen.

Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass queere und feministische Theologie es in die Dominanzgesellschaft schaffen und so anti-muslimischer Rassismus abgebaut werden kann?

Ich weiß nicht, ob feministische Theologie den antimuslimischen Rassismus abbauen kann. Den Rassist_innen sind die Rechte muslimischer Frauen herzlich egal, sie schieben Menschenrechte lediglich vor, um sich der eigenen Superiorität zu versichern. Mir wäre es eigentlich wichtiger, dass gendergerechte theologische Ansätze größeren Einfluss innerhalb des muslimischen Mainstreams – gerade auch in Deutschland – entfalten.

Wie sollten feministische Religionsdebatten eigentlich wirklich aussehen?

Ich glaube, es wäre hilfreich, Religion und Feminismus nicht als Antagonismus zu denken. Nicht-religiöse Feministinnen sollten aushalten lernen, dass es Frauen gibt, die aus ihrer religiösen Identität heraus den Kampf um Frauenrechte führen wollen, z.B. auch mit einem Kopftuch. Der Paternalismus vieler weißer Feministinnen, der schon vor Jahren von Schwarzen Feministinnen und Feministinnen of Color kritisiert worden ist, ist leider weiterhin häufig anzutreffen. Eine große Herausforderung ist zudem die Frage, wie Religionskritik in Bezug auf Minderheitenreligionen aussehen kann, denn diese Kritik, und das wird oft vernachlässigt, ist in eine asymmetrische Kommunikationsstruktur eingebettet.

Was ist Ihre feministische Forderung an das 21. Jahrhundert?

Eigentlich keine wirklich neue Forderung: Den Sexismus nicht gegenüber anderen Unterdrückungs- und Diskriminierungsformen – wie dem Rassismus – zu hierarchisieren. Birgit Rommelspacher hat schon vor zwanzig Jahren angemahnt, dass sich ein solcher Feminismus seines emanzipativen Potentials beraubt, da er zum Zwecke der Aufhebung eines gesellschaftlichen Machtverhältnisses ein anderes bestätigt und damit stärkt.

Das Panel im Stream gibt es hier zu sehen.