Auftakt: Dare the im_possible
„Wer braucht Feminismus?“ Der Name der interaktiven Ausstellung, die gleich am Anfang der viertägigen Tagung eröffnet wird, ist Programm: Am ersten Tag der Tagung werden die grundsätzlichen Fragen diskutiert.
- Brauchen wir heute überhaupt noch Feminismus?
- Sind die Ziele nicht längst erreicht?
- Und: Für wen sind die Ziele erreicht?
Nicht nur Maskulisten argumentieren gern damit, dass Frauen* und Männer* heutzutage doch rechtlich längst gleichgestellt seien. Autor*innen wie die Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg meinen, wer heute nicht in der Lage sei, einen Spitzenposten zu ergattern, sei selber schuld. Lean In!
Eröffnung der Tagung
Sabine Hark, Leiter*in des Zentrums für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der TU und Mitbegründer*in der deutschen Queer Studies, bringt es in ihrem Eröffnungsvortrag auf den Punkt:
In einer Welt, in der in ein nicht nur sprachliches Ungetüm wie das „Asylbeschleunigungsgesetz“ sang- und klanglos über den Tisch geht, ist der feministische Aufruf zu mehr Aktivismus nötiger denn je. Sensibilität für alle Formen der Gewalt und der Unterdrückung, das versteht sie als das Erbe des Feminismus der 2. Welle.
„Vom Erfolg überholt. Feministische Ambivalenzen der Gegenwart“ – unter diesem Titel macht sie die Schwierigkeiten deutlich, vor denen heutige feministische Bewegungen stehen.
Wenn Autor*innen wie Kristina Schröder in einer einzigen Bewegung den Vorgängerinnen für die erreichten Erfolge danken und dann heutige Feministinnen mit einem Tritt in Richtung Tonne treten, wenn Yahoo-Managerin Marissa Meyer in einem Interview bekundet, um Mitternacht festzustellen: Ich sitze im Büro, habe vergessen, dass ich ein Privatleben habe, und bin glücklich – dann scheint es zum einen, als bliebe Feministinnen kaum ein Ausweg zwischen Lean In und der totalen Leistungsverweigerung.
Zum anderen stellt Hark aber die Frage:
- Um wessen Erfolge geht es da eigentlich?
- Wer zählt zur Schröder-Generation der „Danke, emanzipiert sind wir selber“-Frauen?
- Wer ist eingeladen, an den Errungenschaften feministischer Kämpfe teilzuhaben?
Feministischer Erfolg so verstanden bedeutet nicht viel mehr als die Freiheit zur Teilhabe am Konsum und zur Erwerbstätigkeit und ist damit auch eine Verpflichtung, ein Zwang zum Mitmachen. Das Beharren auch von Frauen, darin eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten zu sehen, bezeichnet Hark mit Angela McRobbie als postfeministische Maskerade. Das Beharren darauf, keinerlei Machtmechanismen unterworfen zu sein, das Beharren darauf, längst vollkommen selbstbestimmt zu leben, und die Verweigerung anzuerkennen, dass selbst diese kleinen Erfolge längst nicht für alle gelten. Das alles sieht sie als Zeichen dafür, dass der Feminismus längst zum Teil eines gouvernementalen Regierens geworden ist.
Dass Feminismus auch ein Plädoyer für das Begehren ist, für den Anspruch auf Glück, Freiheit, Sensibilität für Entwürdigung und Entrechtung, all das werde vollkommen ausgeblendet.
Gegen das Zerrbild von einem lustfeindlichen, Männer und Jungen zu Opfer machenden Feminismus setzt Hark eine Bewegung zur Überwindung jeglicher Herrschaft, der von Männern über Frauen, aber auch von Männern über Männer.
Sie stellt auch eine Frage, die im Laufe des Abends noch öfter debattiert wird: Welche Bündnisse sind möglich, welche sind auszuschließen? Und damit schließt sich der Kreis zum Anfang des Vortrags: Spätestens wenn im Namen der Frauenrechte gegen den Islam gehetzt wird, ist es vorbei mit der Solidarität.
Was sind feministische Forderungen, was sind keine, diese Fragen beantwortet Nathalie Percillier in ihrer anschließenden Performance, einem Gespräch mit der „Fee des Feminismus“. Die stellt ihr drei „feministische Wünsche“ frei. „Ich will keine Quote, ich will Catherine – und das ist wohl feministisch!“
In der anschließenden Diskussion steht die Praxis im Mittelpunkt:
- Was ist heute noch das Unmögliche des Feminismus?
- Und: Wie kann denn nun für die Aufhebung von Geschlechterrollen, für die Gleichstellung aller gekämpft werden?
Auf dem Podium:
- Gesine Agena, frauenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen
- Patrick Catuz, Kultur- und Medienwissenschaftler
- Anke Domscheit-Berg, Unternehmerin und Publizistin
- Moderation: Sonja Eismann (Missy Magazine)
- Abgesagt hatte leider Delal Atmaca, die DaMigra, den Dachverband der Migrantinnenorganisationen, vertreten hätte.
Gesine Agena als Politikerin legt den Fokus auf die Veränderung von Strukturen: „Die Utopie ist immer noch das Aufbrechen patriarchaler Strukturen, das Umkrempeln der Gesellschaft.“
Für Anke Domscheit-Berg steht die kulturelle und mediale Ebene im Mittelpunkt: „Ein einziger Blick in eine beliebige Spielwarenabteilung reicht aus, um zu bemerken, wie wenig von Erfolgen zu sprechen ist. Nicht einmal an der Oberfläche hat sich wirklich etwas verändert.“
Patrick Catuz plädiert dafür, an Männlichkeitsbildern zu arbeiten, neue Liebesmodelle auszuprobieren, mehr Mut zu wagen.
Wie lässt sich das aber erreichen? Mit Blick auf die Wahlergebnisse in Österreich glaubt Catuz nicht mehr an die Möglichkeit, verfestigte Meinungen zu verändern. Einen Antifeministen argumentativ zu überzeugen, hält er nicht für möglich – während Domscheit-Berg durchaus daran glaubt, dass der Feminismus für alle Vorteile bringe. Das belegt sie beispielsweise mit einer Studie, derzufolge heterosexuelle Paare, die sich den Haushalt teilen, mehr Sex hätten. Sex gegen Abwasch? Feministische Forderungen können tatsächlich sehr vielfältig sein.
Leider, und vielleicht liegt das am Fehlen der vierten Panelteilnehmerin, wird hauptsächlich über Arbeitsverhältnisse, über strukturelle Ungleichheiten diskutiert, die durch staatliche Maßnahmen wie das Ehegattensplitting gefördert werden. Welche Forderungen alle verbinden können, will Sonja Eismann abschließend wissen.
Zwischen dem Ruf nach mehr Toleranz (Anke Domscheit-Berg) und der Ansage, höchstens punktuelle Bündnisse einzugehen, wenn es Schnittstellen gibt (Patrick Catuz), schwanken die Meinungen.
Nach der Diskussion: Gesine Agena im Gespräch.
Was wäre dein Wunsch an die Fee?
Wenn man in großen Visionen denkt, dann würde ich sagen: Dass patriarchale Strukturen abgeschafft werden. Wenn es um konkrete Schritte geht: Dass das Ehegattensplitting abgeschafft wird, weil es dazu beiträgt, dass diese Strukturen zementiert werden.
Warum sind feministische Forderungen für dich immer noch ein zentrales Thema der Grünen?
Zum einen wird auch in der Partei immer noch und wieder diskutiert, ob zum Beispiel die Quote wieder abgeschafft werden sollte, und das, obwohl eine gleichberechtigte Beteiligung von Frauen immer noch nicht verwirklicht ist ist.
Ein Riesenthema ist der Feminismus auch aktuell, da viele Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Frauen sind besonders betroffen von Gewalt, von sexualisierter Gewalt, von Verfolgung. Wir müssen diese Frauen mehr unterstützen.
Ein dritter Bereich ist die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen: Abschaffung des Splitting, gleiche Bezahlung, Ende der Minijobs.
Die Beschäftigung mit diesen Bereichen sollte dazu führen, dass die Geschlechterrollen ins Rollen kommen.
Das Gespräch fokussierte sehr auf die Themenfelder Arbeit und kulturelle Repräsentation. Wie lässt sich vermeiden, dass davon viele Gruppen ausgeschlossen werden? Wie können alle einbezogen werden?
Das zentrale Thema Flucht muss viel mehr angesprochen werden, gerade in Bezug auf die Asylrechtsverschärfung, die in diesen Tagen durch Bundestags und Bundesrat geht. Ein wichtiges Thema ist auch das Ausspielen von Feminismus zur Stigmatisierung des Islam als frauenfeindlich.
Was lässt sich dagegen tun?
Es aufspießen und öffentlich machen, es auseinander nehmen und zeigen: Das ist genau nicht der Feminismus, den wir meinen. Und wir müssen unsere Strukturen so verändern, dass nicht nur Menschen aus der Elite mitmachen können. Es ist schwierig, so inklusiv zu arbeiten, dass alle mitmachen können. Ich glaube beispielsweise auch nicht, dass dem wunderbaren Vortrag von Sabine Hark alle Menschen folgen können. Wie können wir Sprache einfach gestalten und zugleich aushalten, wenn gesagt wird, dass sie zu einfach ist?
Wir versuchen auch Themen wie Mieten aufzugreifen, das betrifft wirklich alle. Wir versuchen, Flyer in viele Sprachen zu übersetzen, bei uns machen auch Menschen mit vielfältigem Hintergrund mit. Es geht ja nicht nur um die geografische Herkunft, sondern auch um die soziale Herkunft.
Auf eurer Homepage grünistlila ist von Männern und Frauen die Rede. Ist es eine bewusste Entscheidung, dass ihr an der binären Geschlechterteilung festhaltet, oder ist das noch nicht in den Blick geraten?
Wir werden das Gendersternchen einführen.
Welche Bündnisse sind möglich, welche nicht?
Es wird ja immer so getan, als sei der Islam per se eine frauenfeindliche Veranstaltung. Es wäre sinnvoll, Bündnisse zum Beispiel mit muslimischen Femistinnen herzustellen.
Dass aber argumentativ alle zu erreichen sind, denke ich nicht. Ich glaube auch nicht daran, dass der Feminismus für alle ein Vorteil ist. Wenn wir daran denken, Strukturen umzuwerfen und ökonomische Verhätnisse zu verändern, werden wir nicht alle überzeugen können. Ich glaube, die so genannten „angry white men“ erreicht man nur, indem man die Strukturen ändert. Solange es so festgefahren ist, dass der Mann der Ernährer ist, wird sich nichts ändern.
Was erwartest du dir von der Tagung? Was wäre für dich ein gutes Ergebnis?
Neue Bündnisse finde ich großartig, dass das Missy Magazine die Tagung mit der Böll-Stiftung zusammen macht, finde ich schon super. Wenn hieraus etwas Neues entsteht, wäre es toll.
Videos zum Auftakt:
Begrüßung
Vortrag von Prof. Dr. Sabine Hark
Patrick Catuz im Interview
httpv://youtu.be/5ON8VAsO8Lw