Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Sabine Hark.
Erfolg – eine neue moralische Leitwährung
Wenn es gegenwärtig eine dominante moralische Leitwährung gibt, so lautet deren Chiffre ‚Erfolg‘. Diese stellt längst mehr als nur die Begleitmusik im Prozess der Transformation von Marktökonomien in Marktgesellschaften dar, intoniert sie doch das Leistungsprinzip, die fundamentale Gerechtigkeitsnorm moderner Gesellschaften, radikal neu. Die „Pflicht zum Erfolg“ (Neckel) gibt denn auch in immer mehr sozialen Sphären – in Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft ebenso wie im privaten Leben – den Ton an und grundiert in steigendem Maße auch die Selbstbeschreibungen von Frauen* und Männern*. Aus feministischer Perspektive gehört es dabei wohl zu den Tragiken gesellschaftlicher Dynamik, dass Frauen*, denen bislang die prestigereichen Sphären gesellschaftlicher Anerkennung weitestgehend verschlossen waren, just zu jenem Zeitpunkt, da das Leistungsprinzip erodiert und (eigene) Leistung und Erfolg zunehmend entkoppelt werden, vehement darauf beharren, ihr eigener Erfolg verdanke sich ausschließlich der eigenen Qualifikation und Leistung. In jenem Moment also da eines der Versprechen der Moderne, nämlich für die eigene Leistung Anerkennung zu erfahren, auch für Frauen Wirklichkeit werden könnte, ändert die bürgerliche Gesellschaft ihre Geschäftsordnung und verabschiedet sich tendenziell vom Leistungsbegriff. Dabei wird das als gesellschaftlicher Imperativ auftretende, ausgehöhlte Ideal des modernen Zeitalters – dass der je erreichte Platz in der Welt Ergebnis eigenen Tuns und Wollens ist, dass Leistung sich nicht nur lohnt, sondern belohnt wird –, gerade von den jungen, bildungsaffinen Frauen im globalen Norden in nahezu reflexhafter Weise auch selbst propagiert. „Die Mädels meiner Generation haben eine solche Quote überhaupt nicht nötig. Sie sind gut ausgebildet und tough im Job“, begründete vor einiger Zeit Katharina Wagner, Leiterin der Bayreuther Festspiele, ihr Nein zu gesetzlich garantierten Quoten in der Privatwirtschaft.
Zweifellos, (manche) Frauen sind heute sichtbarer denn je und sie sind auch so erfolgreich wie nie. In wachsender Zahl und ohne Reue verlassen sie auch im Land des Ernährermodells das ihnen über mehr als zwei Jahrhunderte angediente „Innere des Haushalts mit den ihm zugehörigen Tätigkeiten, Sorgen und Organisationsformen“ und treten „aus dem Dunkel des Hauses in das volle Licht des öffentlich politischen Bereichs“ (Arendt 1981: 38). Frauen besetzen die erste Reihe der Politik und die Katheder in den Hörsälen, sie bevölkern die IT-Labore, Finanzbörsen und internationalen Gerichtshöfe, ohnehin die TV-Mordkommissionen und Moderationsssessel der politischen Talkshows, die literarischen Bestseller-Listen und Bühnen dieser Welt. Statt des alten Dreiklangs „Kinder, Küche, Kirche“ skandiert heute daher vor allem ein Ton das Leben und die Wünsche von (jungen) Frauen: Karriere. Folgerichtig entschieden sich in der vor einigen Jahren von Jutta Allmendinger für die BRIGITTE durchgeführten Studie auch nur 25 % der Befragten bei der Frage, welcher Frauentyp die Zukunft unseres Landes am meisten prägen werde, für das Bild der Mutter, während 75 % das der Karrierefrau wählten, und die im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung sowie dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführte Studie „Kinder und Karrieren. Die neuen Paare“ (Walther/Lukoschat 2008) propagiert allzeit leistungsbereite, erfolgreiche und glückliche Doppelkarriere-Paare mit Kindern als „Erfolgsmodell“ (Wimbauer 2012: 358). Mit einem „eigenen Zimmer“ (Woolf 2001), so hat es jedenfalls den Anschein, geben sich immer weniger Frauen zufrieden.
Jene Vorstellung von Freiheit, die Simone de Beauvoir vor mehr als einem halben Jahrhundert als für Frauen in weiter Ferne liegende Zukunftsvision beschrieb, nämlich ein freies Individuum sein, das „sich als Subjekt“ behauptet (ebd.), ein Individuum, das eigene Pläne, Entwürfe und Ziele verfolgt, das diese Pläne, Entwürfe und Ziele immer wieder neu formuliert und dies obendrein als Ergebnis eigener Leistung verbucht – ist für die Generation der Top Girls (McRobbie 2010) in vielerlei Hinsicht gesellschaftliche Wirklichkeit. Und tatsächlich gab es in der Geschichte Deutschlands wohl noch nie vorher eine Frauengeneration, für die Autonomie, Selbstbestimmung und (rechtliche) Gleichheit so weitreichend verwirklicht war wie für diese Generation. Danke, emanzipiert sind wir selber! (Schröder 2012) titelte so die ehemalige Bundesfrauenministerin Kristina Schröder denn auch folgerichtig ihre Streitschrift für den „Abschied vom Diktat der Rollenbilder“, in der sie sich gleichermaßen gegen die Bevormundung ihrer Generation durch „Feministinnen und Strukturkonservative“ wendet (Schröder 2012: 215). Vorgaben zu machen, wie andere zu leben hätten und woran sich ein gelungener weiblicher Lebensentwurf zu messen habe, „ein bestimmtes Rollenbild zum Leitbild zu erheben, das für alle gelten soll“, gehöre, so Schröder dezidiert, „in die Mottenkiste der Gesellschaftspolitik“ (ebd.). Und in dieser entsorgt Schröder einen vermeintlichen Weltanschauuungs-Feminismus gleich mit. Der habe sich schließlich ungeachtet aller Veränderungen, die er bewirkt habe, selbst „als weitgehend resistent gegen Veränderungen erwiesen“ (ebd.: 28). Ob seiner „Gouvernantenhaftigkeit“, seiner „weltanschaulichen Attitüde“, seiner „selbstgefälligen, amazonenhaften, anmaßenden und im Kern fanatischen Haltung“ (ebd.: 34) würden daher Frauen ihrer Generation diesem die emanzipierte Schulter zeigen.
Feminismus – vom Erfolg überholt?
Insofern für die eigene Leistung Anerkennung erfahren und ein souveränes, selbstbestimmtes Subjekt werden, feministische Ziele waren, bezeugen weibliche Karrieren in Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur auch, dass Feminismus erfolgreich war. So sehr womöglich, dass er augenscheinlich von seinem eigenen Erfolg überholt wurde und ausgedient hat. Dies gesagt, gilt es nicht nur nach der Qualität des feministischen Erfolgs zu fragen, sondern auch, wer zur Schröder-Generation gehört: Wer kann, soll, darf „Alpha-Mädchen“ sein? Wer, mit anderen Worten, wird zu welcher Art Teilhabe eingeladen? Wessen Freiheit ist gemeint? Und von welcher Art ist diese Freiheit?
Gleichwohl auch die erste Frage, wer eingeladen ist, genauerer Bearbeitung bedarf, ist sie vergleichsweise einfach zu beantworten: Es sind, wie bereits angesprochen, die jungen Frauen aus den bildungsaffinen, im globalen Maßstab wirtschaftlich (immer noch) prosperierenden, mit allen staatsbürgerlichen Rechten ausgestatteten, mehrheitlich (noch) weißen Mittel- und Oberschichten in den Wohlstandsgesellschaften des globalen Nordens – einschließlich junger Frauen aus den Eliten in einigen Ländern des globalen Südens –, denen „das Angebot gemacht wird, öffentlich sichtbar zu werden, die Möglichkeiten des Arbeitsmarktes zu nutzen, sich weiterzubilden, reproduktive Selbstbestimmung zu praktizieren und genug Geld zu verdienen, um an der Konsumkultur teilzuhaben, die sich ihrerseits gerade zu einem der bestimmenden Züge zeitgenössischer Modelle weiblicher Staatsbürgerschaft entwickelt“ (McRobbie 2010: 87). „Merkels Mädchen“ (Roßmann 2012), stehen mithin nachgerade exemplarisch für diese eine Gruppe, die heute vor allem ins Rampenlicht gerückt wird und deren Potential es zu heben gilt. Sie sind es, die nicht nur auf ihre Chancen pochen und diese nutzen, sondern auch die – wenigstens rhetorisch – intensiv umworbenen change agents der Wissensgesellschaft, gleich ob es um Fachkräftemangel oder die so genannte demografische Herausforderung geht.
Die (jungen) Frauen heute angetragene Freiheit durch Teilhabe an Konsum und Erwerbstätigkeit stellt sich in diesem Licht auch als Pflicht dar. Und zwar als Pflicht zur individualisierten – und zum Erfolg verdammten – Teilhabe; als Zwang, die vielfältigen Angebote, das eigene Leben in die Hand zu nehmen, auch zu nutzen, dieses gut und umsichtig zu managen, den jeweils richtigen Zeitpunkt für „Kinder, Krippe und Karriere“ zu erkennen, beständig an sich selbst zu arbeiten, sich nicht gehen zu lassen, nicht aus den (körperlichen) Fugen zu geraten, Gefühle dosiert und gezielt einzusetzen, strategische Kompetenzen zu entwickeln, keine Chance zu verpassen, sich selbst besser zu vermarkten, sozial und geographisch mobil zu sein. Und bei all dem immer auch den kommerzialisierten, vielfältig medial produzierten und transportierten Anrufungen perfektionierter und optimierter heterosexualisierter (mütterlicher) Weiblichkeit nachzukommen.
New Deal – Postfeministische Pirouetten
Kristina Schröder steht im Kontext dieser Dynamiken nicht nur exemplarisch für die historische Positionierung bestimmter junger Frauen heute, für die Art und Weise also, wie sie in die heterogen verlaufende gesellschaftliche Entwicklung der Spätmoderne hinein genommen werden. Denn Schröder verkörpert auch eine exemplarische, dieser Zeit und Dynamik durchaus angemessene – for better or worse – feministische Haltung. Diese äußert sich gerade nicht in ausschließlich dezidierter, gar apodiktischer Ablehnung feministischer Haltungen. Sie ist durchaus bereit, anzuerkennen, dass Feminist_innen früherer Generationen genau das erkämpft haben, wovon ihre Generation profitiert, namentlich jenen Zuwachs an Freiheitsgraden, der darin besteht, „dass Frauen ihre Biografie heute zumindest in der Theorie genauso frei wie Männer planen können“ (Schröder 2012: 35), sie sich also – prinzipiell – eigene Zwecke setzen und eigene Ziele verfolgen können. Doch um dies honorieren, und auch, um sich in einer vermeintlich entideologisierten Weise das viel geschmähte F-Wort aneignen zu können, scheint es der Ex-Ministerin unumgänglich, sich zunächst von einem chimärenhaften und ideologisch aufgeladenen, weltanschaulich verbiesterten Feminismus zu distanzieren.
In dieser Schröderschen Pirouette, der subtilen Bewegung der simultanen Bezugnahme auf und Zurückweisung von Feminismus, zeigt sich die einst von Sandra Harding beschriebene Furcht, sich als Feministin zu bezeichnen oder als solche wahrgenommen zu werden – eine Furcht, um die Schröders Parteikollegin und erste Vorgängerin im Amt, Rita Süssmuth, weiß: dass nämlich das „Wort Selbstbestimmung in Verbindung mit Frauen immer noch ein Reizwort, eine Provokation“ sei, mache es doch den „Kern einer eigenständigen freien Existenz“ aus (Süssmuth 2000: 48).
Betrachten wir Schröders Pirouette in diesem Süssmuthschen Licht, so wird deutlich, was hier noch auf dem Spiel steht: der Verlust von Intelligibilität. Denn insofern Feminismus eine Chiffre für weibliche Freiheit und Selbstbestimmung ist und insofern dieses Wort „Selbstbestimmung in Verbindung mit Frauen immer noch ein Reizwort, eine Provokation“ darstellt, dies Werte sind, die als letztendlich mit Weiblichkeit unvereinbar gelten, riskiert jede Frau, die mit diesen Werten in Verbindung gebracht wird, aus dem Schema der Intelligibilität herauszufallen. Was hier droht, ist der Verlust der An|Erkennbarkeit als Frau – als Geschlecht –, sofern sie sich (zu) eindeutig zu diesen Werten bekennt beziehungsweise damit assoziiert wird.
Und dies ist womöglich eine Gefahr, die vielleicht vor allem die „Alpha-Mädchen“ der Generation Schröder (für sich) erkannt haben: als jenen, denen nicht nur Macht und Autonomie vermeintlich naturwüchsig zugefallen sind, sondern auch das feministische Erbe der Infragestellung und Umarbeitung von Weiblichkeit, vielleicht vor allem aber das schwierige Erbe der Anfechtung der „heterosexuellen Matrix“ (Butler 2009: 131). Nur so erklärt sich etwa die Bereitschaft auch der „Alpha-Mädchen“, trotz ihrer durchaus kritischen Ausführungen beispielsweise zu neuen Schönheitszwängen die Intensivierung heterosexuell codierter Formen von Lust und Spaß als – feministische – Errungenschaft zu preisen: „Der neue Feminismus“, schreiben sie, „geht mit dem Thema Sex entspannter um. Feministinnen sind heute eher für viel Sex und für guten Sex. […] Weil sie manchmal auch Lust auf Sex mit einem ein paar Stunden zuvor noch unbekannten Mann haben“ (Haaf/Klingner/Streidl 2008: 23). Auch jenes Phänomen, das Angela McRobbie als „postfeministische Maskerade“ (McRobbie 2010: 94 ff.) beschrieben hat, nämlich das nachgerade obsessive Beharren heute junger Frauen, in den kommerzialisierten Versionen von Weiblichkeit nicht Zwang sondern Freiheit zu sehen, ist Ausdruck des Wunsches, als zwar emanzipiert, aber dennoch begehrenswert erkannt zu werden. So bekundete eine Mitarbeiterin des Gleichstellungsbüro der Universität Wuppertal im Sommer 2010 im Berliner Tagesspiegel: Sie fühle sich „in ihrer Weiblichkeit“ wohl, in „knappen Outfits, Make-up und Kleidern“ sehe sie „keinen Widerspruch zu ihren Forderungen“ und beabsichtige folglich Politik zwar „im Geist von Alice – aber mit Make-up und Minirock“ betreiben zu wollen (Schulz 2010: 8). „Eine Brustvergrößerung“ etwa, fährt sie fort, sei daher auch „kein Politikum, sondern die freie Entscheidung einer Frau, wozu sie jedes Recht der Welt hat“. „Man kann“, so wiederum Judith Butler, „in der Kritik jener Begriffe, die […] die eigene Existenz sichern, nicht zu weit gehen“ (Butler 1997: 121).
Hatte also die erste Frauenministerin der BRD, Rita Süssmuth, noch erklärt, Feministin zu sein, sei das Mindeste, „was eine Frau tun kann“ (Süssmuth 2000: 54), scheute die neunte Bundesfrauenministerin Kristina Schröder in ihrer Amtszeit keine Mühe, deutlich zu machen, dass sie mit einem (vorgeblich) Männer und letztlich auch Frauen bekämpfenden weltanschaulichen Feminismus nichts zu schaffen hat. Indem sie sich von einem solcherart gerahmten Feminismus distanziert, der zudem die von ihr als naturgegeben behauptete Ordnung heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit anzweifele, sucht sie sicher zu stellen, dass sie selbst doch noch immer eine Frau ist, genauer: als solche an|erkennbar ist. Und zwar eine Frau im zwar neoliberal modernisierten, gleichwohl immer noch pariarchal-heteronormativ organisierten Gefüge verankerte Frau. Eine Frau, die Autonomie, Macht und gleiche Teilhabe beansprucht, zu Recht beanspruchen darf, die aber zugleich versichert, dies sei für alle Beteiligten eine reine win-win-Situation. Eine Frau obendrein, die den heterosexuellen Kontrakt nicht in Frage stellt und dessen zentrale Klausel, die Zugewandt- und Zugehörigkeit der Frau zum Mann, akzeptiert.
Ein geschlechterpolitischer New Deal also: Gleichheit, ohne dass die Machtfrage zwischen den Geschlechtern gestellt werden muss; vorgeblich zu haben ohne Umverteilung von Macht und Ressourcen zwischen ihnen, innerhalb der gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse und ohne radikale Umgestaltung heteronormativ organisierter Geschlechterverhältnisse und -arrangements. Zu haben allerdings nur um den Preis der aktiven Nicht-Zurkenntnisnahme des ‚Kleingedruckten‘: die erneute Befestigung heterosexualisierter Geschlechternormen, die die Grenzen der (geschlechtlichen) An|erkennbarkeit, die „Gitter der Lesbarkeit“ (Butler 2009: 73) neu organisieren. Zu haben aber auch nur um den Preis der Ausblendung etwa jener Tatsache, dass der Auf- und Einstieg der Frauen in die herrschenden Klassen im Westen mit der Intensivierung vergeschlechtlichter und ethnisierter bzw. rassifizierter internationaler Arbeitsteilung zusammenhängt.
Von solchen Zusammenhängen, so steht zu vermuten, will Kristina Schröder nichts wissen. Auch Ignoranz gegenüber den enormen feministischen Anstrengungen der vergangenen Jahrzehnte, patriarchale „Verhältnisse und Verhinderungen“ (Gerhard 1978) im Leben von Frauen und Männern zu verstehen und zu beseitigen, scheint (ihr) als Haltung legitim.
Wir haben es derzeit also, mit anderen Worten, mit einer gesellschaftlichen Konstellation zu tun, die wesentlich davon bestimmt ist, dass post-2nd-wave-Kräfte daran arbeiten, Feminismus als heteronormativ fundiertes, liberal eingefärbtes, neobürgerliches Eliteprojekt zu reformulieren und ihn als Teil dessen zu reartikulieren, wie wir (auch geschlechtlich) regiert werden. Zugleich betreiben die zum Teil selben gesellschaftlichen Kräfte aktiv dessen Desartikulation als mehrdimensionale, glokale, vielstimmige und oft auch inkongruente und widersprüchliche kollektive politische Praxis ‚von unten‘. Und in der Tat erleben wir gegenwärtig wohl zum ersten Mal in der Geschichte Feminismus nicht allein als eine Kraft, die getragen wird von einer sozialen Bewegung, die soziale Bewegung ist, als eine Kraft also, die ‚von unten‘ agiert, sondern auch als Bewegung ‚von oben‘. Kurzum: Feminismus ist in bestimmter Gestalt Teil gouvernementalen Regierungshandelns geworden. Das mag auf den ersten Blick nicht neu erscheinen. Gerade zentrale feministische Politikfelder – Sexualität, Reproduktion, Gewalt, Lebensweisen, Erwerbsarbeit – sind ohnehin immer schon Gegenstand staatlicher Regulierung gewesen. Eine Fülle von nationalen Gesetzen und Verordnungen, die die Gleichstellung der Geschlechter zum Ziel haben, aber auch eine international stetig wachsende Zahl von Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen, die mit der Durchsetzung von „Frauenrechten“ befasst sind, sowie supranationale (UN; EU) und nationale Politiken des Gender Mainstreaming bestätigen diese Entwicklung. Die feministischen Anliegen sind in dieser Gestalt längst für alle Gesellschaftsmitglieder Teil der unhintergehbaren historischen Objektivität, Teil institutioneller Vorgaben und institutionellen Handelns geworden – und damit Teil dessen, wie wir regiert werden.
Feministische Ambivalenzen der Gegenwart – ein Fazit
Kommen wir zur zweiten Frage: Von welcher Freiheit sprechen wir? Und von welcher Qualität ist der feministische Erfolg? Wurden über die partielle Inklusion weiblicher high potentials hinaus die patriarchalen Tiefenstrukturen bürgerlicher Gesellschaften verändert? Oder dienten, wie Nancy Fraser argumentiert, die kulturellen Veränderungen, die „die Neue Frauenbewegung in Gang setzen konnte“, nicht „zugleich der Legitimation eines strukturellen Umbaus der kapitalistischen Gesellschaft, welcher feministischen Visionen einer gerechten Gesellschaft diametral zuwiderläuft“ (Fraser 2009: 44)? Was also ist geworden aus den feministischen Visionen einer anderen Gesellschaft?
Der Feminismus vom Typ Schröder stellt sich hier als äußerst ambivalentes Projekt dar, das sich erstaunlich gut einfügt in das medial forcierte Amalgam aus Diskreditierung von Gender Mainstreaming und feministischer Geschlechterforschung, der Entdeckung von Jungen und Männern als den wahren Opfern der feministisch inspirierten Modernisierung sowie einer Wiedererweckung soziobiologischer bzw. evolutionärer Denkweisen, die die unhintergehbare Unvergleichlichkeit der Geschlechter betonen. Er trägt zudem dazu bei, dass es heute möglich ist, Feminismus insgesamt zu reartikulieren als Emblem westlicher Freiheit, das gegen einen als patriarchal, frauenfeindlich und anti-westlich identifizierten Islam in Stellung gebracht wird. Und nicht zuletzt fügt er sich ein in jenes Dispositiv, das einen neuen, postwohlfahrtsstaatlichen Gesellschaftsvertrag zum Ziel hat, und der wiederum, wie wir gesehen haben, ohne einen ‚modernisierten‘ Geschlechtervertrag nicht auskommen wird. Dazu scheint es unabdingbar, radikalfeministische Interventionen in einen und Kritik an einem heteronormativ gerahmten, hierarchischen Geschlechtervertrag mindestens als Teil einer hinter uns zu lassenden Geschichte zu entwerfen, tatsächlich sogar als Teil einer insgesamt lächerlich zu nennenden historischen Episode zu diskreditieren. Übrig bleibt hier nur das Zerrbild eines lustfeindlichen, sklerotischen, männerhassenden und notorisch zensierenden Feminismus.
Was dagegen als unzweifelhaft voraussetzungsvolles und oft auch schwieriges Erbe aktiv ausgeschlagen wird, ist das, was den Feminismus der zweiten Welle politisch, intellektuell und emotional ausmachte. Das Begehren nach Freiheit und Glück. Die Leidenschaft für Teilhabe an der Welt und die Einmischung in Welt. Die Bereitschaft, von dieser Welt und dem, was sich in ihr ereignet, berührt und bewegt zu werden. Sensibilität für die vielfältigen Weisen von Entwürdigung und Entrechtung, Entfremdung und Isolation, für die vielen Gestalten körperlicher und emotionaler Versehrung. Der Anspruch auf Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Würde. Die Verknüpfung von individueller und gesellschaftlicher Emanzipation. Die Überwindung der Herrschaft von Männern über Frauen, aber auch von Männern über Männer und der Kampf gegen jegliche Form von Unterdrückung und Gewalt. Das andauernde Ringen darum – ebenso wie das vielfältige Scheitern daran –, die komplex organisierten intersektionalen Gefüge globaler sozialer und politischer, ökonomischer und kultureller Ungerechtigkeit sowie die daraus resultierenden Sets von Privilegien einerseits, Diskriminierungen andererseits nicht nur angemessener zu verstehen, sondern auch außer Kraft zu setzen. Die Einsicht darin, dass Feminismus immer auch in die Kämpfe seiner Zeit verwickelt ist und Frauen auch Konstrukteur_innen der Verhältnisse sind, in denen sie leben. Frauen also keineswegs nur ausgeschlossen, sondern immer auch aktiver Teil hegemonialer Herrschaftskonstellationen sind, folglich weder ‚die‘ Frauen noch ‚der‘ Feminismus politisch je ‚unschuldig‘ sind. Das Wissen mithin um die Notwendigkeit, Rechenschaft darüber abzulegen, wie Welt und Sozialität imaginiert, geformt und aufrechterhalten werden. Die Bereitschaft, immer wieder aufs Neue zu fragen, wem und welchen Kämpfen Feminismus Rechnung trägt, wer wie ein- und ausgeschlossen wird, von wem aus feministisch gedacht und gehandelt wird, wessen und welches Handeln ermöglicht und wessen und welches Handeln verunmöglicht wird. Und schließlich die Frage zu stellen – und sich stellen zu lassen –, welche Erfahrungen und welche Körper, welches Begehren und welche Bedürfnisse, welche Gefühls- und Seinsweisen, welche Verwandtschaften und Familiaritäten lebbar sind und welche nicht – und welche Allianzen auch über die Grenzen des Geschlechts hinweg ermöglicht und welche sabotiert werden. Wege zu finden, wie dieses Erbe anzutreten wäre, stellt daher eine der Herausforderungen feministischen Denkens und Bewegens im 21. Jahrhundert dar.
Insofern Feminismus die Fähigkeit zu der dafür nötigen Reflexion und Revision auch grundlegender eigener Annahmen und Perspektiven dabei vor allem den widersprüchlich organisierten gesellschaftlichen Erfahrungen von Frauen* und dem oft konflikthaften Dialog mit den ‚Anderen‘ des feministischen Diskurses verdankt, kommt es vor diesem Hintergrund mehr denn je darauf an, das Bündnis mit anderen macht- und herrschaftskritischen Bewegungen und Erkenntnisperspektiven zu suchen. Und dies, um Dominanzkultur in all ihrer widersprüchlichen Komplexität eben nicht nur besser verstehen zu können, sondern vor allem, um sie so zu verändern, dass auch jene „Subjekte, die leben, aber noch nicht als ‚Leben‘ betrachtet werden“ (Butler), im Leben gehalten werden.
BIOGRAFIE:
Prof. Dr. Sabine Hark ist Soziologin. Sie ist Professorin an der TU Berlin und wissenschaftliche Leiterin des dortigen Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIFG).