Aktivismus heißt handeln

Die Workshop-Leiterinnen Jacqueline Alex und Julia Lemmle sprechen über „The Master’s Tools Will Never Dismantle the Master’s House: Weißen Feminismus hinterfragen – Verbündete werden“.

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Selbst wenn sich weiße Feminist_innen vielleicht bereits mit Rassismus, geschichtlicher Verantwortung und den eigenen strukturellen Verstrickungen befasst haben, stellt sich für viele noch immer die Frage, wie sich dieses Wissen in konstruktives aktivistisches Handeln umsetzen lässt. Denn Problembewusstsein allein macht noch keine gute Verbündete. Jacqueline Alex und Julia Lemmle haben sich diesen Fragen gemeinsam mit ca. 20 Teilnehmenden genähert. Ich treffe die beiden im Anschluss zum Interview; nach dem vierstündigen Workshop wirken sie erschöpft, aber sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

Julia Lemmle & Jacqueline Alex
Julia Lemmle & Jacqueline Alex

Warum sollte eine zu so einem Workshop gehen?

Julia Lemmle: Beispielsweise an einer solchen Konferenz könnte mir auffallen, dass bestimmte Positionen da sind oder benannt werden, und andere eben nicht. Dann könnte ich darüber nachdenken, ob das nun wirklich ein Feminismus für alle ist. Vielleicht möchte ich auch wissen, was ich übersehen habe, wenn ich mich beispielweise überall total wohl fühle. Vielleicht möchte ich eben das hinterfragen und gerne mit nicht-weißen Menschen in Kontakt treten.

Warum ist es wichtig, zunächst das eigene weißsein zu reflektieren anstatt einfach direkt in diesen Kontakt zu treten?

JL: Zunächst einmal sind weiße Leute gar nicht in der Lage diese Verbindung wirklich auf Augenhöhe einzugehen, weil sie zum Thema Rassismus und Privilegien so viel abwehren, dass sie gar nicht anerkennen können wie so eine Situation funktioniert. Dann kann man sich auch nicht einfach zusammensetzen und beispielsweise ein Projekt planen.

Jacqueline Alex: Ich denke, das hat eben viel mit dem blinden Fleck zu tun. Dass man sich eben selten, es sei denn durch Leidensdruck, selbst hinterfragt.

Insgesamt war dieser Workshop auch erst eine Art Schnupperkurs, denn wir bieten einen intensiveren Workshop im kommenden Januar an. Es ging hier zunächst auch darum, sich die nötigen Ressourcen, Fähigkeiten und Potentiale für diese Art von Verbindung bewusst zu machen, und erst im nächsten Schritt kritisch zu hinterfragen. Die Idee hinter diesem Verbundensein und Verbündetsein ist eben, dass man auch mit sich selbst gut Freund ist. Ich kann mich nicht mit anderen für konstruktive Dinge verbünden, wenn ich mich selbst nicht kenne, nicht mag und meine Selbstkritik auf andere projiziere.

Daher fängt meine Herangehensweise auch im Kleinen an. Bei Körpertechniken und Selbstwahrnehmungen wie beispielsweise der Atmung, der Sitzhaltung oder auch dem Lächeln. Denn das kann schon viel bewirken. Egal wie reflektiert oder wissenschaftlich fundiert die Erkenntnis ist, wenn ich mit einem sauertöpfischen Gesicht an die Problematik herangehe, ist das Ergebnis eben defizitär. Ich lege also einen Fokus darauf, eine freudvolle Selbstwahrnehmung mit dem kritischen, und auch oft unangenehmen Hinterfragen zu verbinden. Aus der Freude lassen sich diese schwierigen Dinge oft viel produktiver angehen. Hier geht es um die Verbindung von Herz, Verstand und Seele.

JL: Meine Erfahrung ist, dass akademisiertes kritisches weißsein hierzulande oft allein den Anspruch hat, etwas kognitiv zu klären oder sich Wissen anzueignen. Dabei wird leicht vergessen, woher das Wissen um rassistische Strukturen kommt: Das ist Schwarzes Überlebenswissen und hat erst einmal überhaupt nichts mit Theorie zu tun. Also ist das kritische weißsein einerseits natürlich positiv und stößt Prozesse des eigenen Hinterfragens an. Auf der anderen Seite eignen viele sich dieses Wissen aber nur theoretisch an und verlieren den Blick dafür, woher es kommt – nämlich aus dem Leben und der Praxis.

Um die Brücke zu dieser Basis zurückzuschlagen helfen mir zwei Perspektiven. Zum einen geht es darum zu erkennen, dass weißsein eben auch über diese Betonung von Rationalität, Kontrolle und Allmachtsfantasien funktioniert. Anderseits ist das natürlich keine individuelle Angelegenheit sondern Teil einer Struktur, der ich mein ganzes Leben ausgesetzt war und deren Kultur ich aufgesogen habe wie ein Schwamm. Dieses Denken ist in mir drin, und das eben auch unbewusst. Oft kommen zu diesen Workshops Menschen, die auf der bewussten Ebene schon sehr weit sind. Die können alles bereits ausformulieren und gut argumentieren, engagieren sich gegen Nazis und so weiter. Das ist alles super, aber wir möchten gerne weitergehen. Bei diesem Workshop und der Betonung auf einen emotionalen Zugang geht es auch darum, ein Werkzeug an die Hand zu geben, das tiefer greift als reine Fakten. Denn wenn die Auseinandersetzung nur im Kopf stattfindet, komme ich schnell in eine Schuldfalle.

JA: Es geht im Workshop aber nicht um Schuld oder um richtig oder falsch, sondern darum, Erfahrungsräume zu öffnen und zu lösen. Für eine bewusste Selbstwahrnehmung ist es wichtig, nah bei sich zu sein. Wir haben Atemübungen gemacht und viel gemalt, mit visuellen Metaphern gearbeitet um eben tiefer zu gehen und positive Ressourcen zu aktivieren, die wir dann in unsere Alltagskämpfe tragen können. Es geht also eher weg von einer Problemorientierung hin zu der Frage, wie wir politische Arbeit schöner gestalten können.

Läuft dieser Feelgood-Ansatz nicht in Gefahr, die Situationen anderer aus den Augen zu verlieren?

JL: Es geht nicht nur darum, sich wohlzufühlen. Die Teilnehmerinnen wurden natürlich auch stark herausgefordert. Aber das passiert von ganz alleine, wenn man sich ernsthaft mit dem Thema auseinander setzt. Es ging uns darum, eine gute Balance und Basis zu finden. Auch wenn weiße Leute ungerechterweise das Privileg besitzen, sich nicht zwingend mit diesen Problemen auseinander zu setzen, haben die Menschen in unseren Workshops meist bereits zumindest ein Bewusstsein um die eigene Verantwortung. Sie kommen zu uns, weil sie spüren, dass die Verhältnisse nicht in Ordnung sind. Sie haben den Wunsch, etwas zu verändern und wirklich Verantwortung zu übernehmen.

JA: Es geht letztendlich ums Hinterfragen, Reflektieren, angstfrei in die Tiefe gehen, aber eben vor allem auch um Handlungen, um konkrete Lösungen. Was ist der nächste Schritt eines Verbündens? Wir haben das am Ende des Workshops ganz klar formuliert. Die Teilnehmerinnen haben laut in der Gruppe Dinge geäußert wie:„Ich werde mir eine feministische Gruppe suchen, um Verbündete zu finden.“ Oder: „Ich werde Strukturen in meiner Gruppe verändern.“

JL: Viele haben auch gesagt: „Ich werde mich dafür einsetzen, dass in dem Bereich, in dem ich arbeite, sei es bei einer Publikation oder Veranstaltung, auch Expertinnen of Color eingeladen werden.“

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Abgesehen von diesen Beispielen, was können weiße Feminist_innen tun, um gute Verbündete zu werden?

JL: Erst muss einer klar sein, dass es sich hierbei um einen lebenslangen Prozess handelt. Diese Dinge sitzen sehr tief und werden ständig weiter reproduziert. Als weiße Person habe ich auch das Privileg, mich immer zurückziehen und nicht mehr damit auseinandersetzen zu können. Daher muss ich mich selbst immer wieder auffordern, in bestimmte Räume und Auseinandersetzungen zu gehen. Der Theoretiker Paul Gilroy beschreibt fünf Phasen der weißen Auseinandersetzung als Ableugnung, Scham, Schuld, Anerkennung der eigenen Verantwortung und schlussendlich Reparation. Anlehnend und anschließend an diese fünf Schritte, habe ich für mich ein Model für weiße Leute entwickelt, die es ernst meinen, die Welt so nicht hinnehmen wollen und auch realisieren, dass sie ein Teil davon sind.

Wie lauten diese fünf Schritte?

  1. Thematisieren.

Immer wieder. Auch gerade in Settings, in denen weiße Leute gerne argumentieren, dass das doch nichts mit Rassismus zu tun habe.

  1. Selbsttransformation.

So wie wir es heute im Workshop getan haben: Werkzeuge entwickeln und eine Zielvorstellung formulieren, die mich auch in unangenehmen Situationen stärkt. So kann es beispielsweise passieren, dass ich aus bestimmten weißen Kontexten ausgestoßen werde. Aber ich muss wissen, was ich will.

  1. Gegenseitige Hilfe.

Anderen weißen Leuten dabei helfen, sich selbst zu transformieren. Sie also zu unterstützen und nicht wieder in diesen, auch typisch weißen, Konkurrenzkampf zu treten. Es geht nicht darum, wer die bessere Antirassistin ist, sondern darum, sich auch in der eigenen Fehlerhaftigkeit anzuerkennen. Sich auch immer wieder daran zu erinnern, dass es sich um einen Lernprozess handelt. Das ist auch eine Aufgabe speziell für weiße unter sich. Ich trage in bestimmten Situationen die Verantwortung, mein Wissen an eine Gruppe weiterzugeben, damit eben nicht immer Schwarze die Lehrerinnen sein müssen.

  1. Reflektierte Verbindungen eingehen.

Erst wenn ich die Realität der Verhältnisse anerkannt habe, kann ich einen Kontakt und Verbindung aufbauen. Erst dann.

  1. Das eigene Umfeld verändern.

Wir haben alle eine konkrete Macht. Natürlich kann nicht eine alles machen, aber wir haben bestimmte Ressourcen und Einfluss und wir haben die Möglichkeit, Dinge zu gestalten.

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Jacqueline Alex ist Mimin, Trainerin und Coach. Sie vermittelt die Themen Präsenz, Gesprächsführung und Körpersprache, Aufrichtigkeit in Vielfalt und Wertschätzung und Achtsamkeit.

Julia Lemmle ist Trainerin, Coach & Performerin. Sie hat das „Rhetorik-Empowerment-Training für Frauen (FLTI)“ entwickelt und konzentriert sich darüber hinaus auf die Themen Selbstsorge und Achtsamkeit (insbesondere für Aktivistinnen) und kritisches weißsein. Sie ist Teil von Bühnenwatch und performt bei Fräulein Bernd und dem Muschiballett.

 

 

 


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