Fachgespräch: Frauen an die Friedenstische. Möglichkeiten und Herausforderungen im Kampf gegen sexualisierte Kriegsgewalt. Was ist neu in 2015 und in Syrien? – Im Gespräch mit Joumana Seif
Ein brisantes Thema stand im Mittelpunkt des teilnahmebeschränkten Fachgespräches zwischen Aktivistinnen aus Irak und Syrien.
Unter Moderation von Ines Kappert, Leiterin des Gunda-Werner-Instituts, berichteten die Teilnehmerinnen von ihrer Arbeit in Irak und Syrien und diskutierten Forderungen an die internationale Gemeinschaft.
Einen informativen und bewegenden Input zur Situation in Syrien gab zunächst Lubna Alkanawati, Vertreterin der irakischen Frauenorganisation Women Now For Development, die inzwischen im türkischen Exil in Gaziantep lebt.
Im Anschluss sprach Ala Ali von der irakischen Frauenorganisation Al-Amal in Erbil über die Lage im Irak. Dort wurde zwar ein Plan zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 zum Schutz von Frauenrechten verabschiedet, es fehlt jedoch an Mitteln zu seiner Umsetzung.
Nach der Veranstaltung sprachen wir mit der Juristin und Geschäftsfrau Joumana Seif, die in mehreren syrischen Frauenorganisationen aktiv ist und inzwischen im Berliner Exil lebt. Bei der Abendveranstaltung hielt sie den Vortrag.
Joumana Seif – Unternehmerin und Aktivistin
Sie sind in erster Linie Geschäftsfrau. Wie sah Ihr Weg in die verschiedenen Frauenorganisationen aus, und welche Rolle spielt Ihr beruflicher Hintergrund für diese Tätigkeit?
Meine Familie ist in der Bekleidungsindustrie tätig. Mein Vater ist 1994 mit dem Ziel, die einheimische Industrie zu stärken, ins Parlament gegangen. Als er seine politische Arbeit begonnen hat, war er überrascht von dem großen Widerstand seitens der Regierung. Bis dahin war er von organisatorischen Fehlern ausgegangen. Jetzt stellte er fest, dass Korruption und eine bewusste Politik für die Fehlentwicklung verantwortlich waren. Dadurch hat sich dann auch mein politisches Bewusstsein immer mehr herausgebildet.
Ich habe viele Jahre für unser Unternehmen gearbeitet. 1996 habe ich eine eigene Abteilung aufgebaut, die für die sozialen Belange der Angestellten zuständig war. Es ging um Kompetenzentwicklung, die Förderung der Weiterbildung, insbesondere auch der weiblichen Angestellten, ich habe eine eigene Bibliothek gegründet, sportliche Aktivitäten angeboten.
Wie kam der Schritt von dieser Arbeit in die Frauenorganisationen? Waren Sie damals schon organisiert?
Das Ganze fand ausschließlich innerhalb des Unternehmens statt. Dazu muss man wissen, dass in Syrien jegliche zivilgesellschaftliche Aktivität verboten war. Jegliches individuelles Engagement hätte einfach nicht stattfinden können, auch keine Frauenorganisation. Deshalb blieben meine Aktivitäten auf den internen Bereich beschränkt.
Im Jahr 2000 wurde uns das Unternehmen als Strafe für die politische Opposition meines Vaters weggenommen und verstaatlicht. 1996 hatten wir schon eine Warnung durch das Regime erhalten, als mein Bruder unter ungeklärten Umständen verschwunden ist. Mein Vater wurde 2001 ins Gefängnis geworfen, auch als Strafe dafür, dass er im Parlament einen korrupten Deal Assads angeprangert hat und dafür, dass in in unserem Haus das „Forum für nationale Demokratie“ gegründet worden war. Mit der Schließung der Firma habe ich meine Arbeit verloren und angefangen, mich in der Menschenrechtsarbeit zu engagieren.
Ich muss sagen, ich war nie in der Frauenbewegung aktiv, obwohl ich etliche Freundinnen hatte, die sehr stark feministisch orientiert waren. Ich selber war davon überzeugt, dass es keinen Sinn hat sich speziell für Frauenrechte einzusetzen, solange es keine politischen Reformen gibt, solange das Notstandsgesetz nicht aufgehoben wird, solange die grundlegenden Menschenrechte der Syrer*innen nicht respektiert werden. Und deswegen habe ich mich an Protesten zur Aufhebung der Notstandsgesetze beteiligt, aber nicht an Demonstrationen für die Frauenrechte – wobei ich mich auch nicht erinnern kann, dass welche stattgefunden hätten.
Warum für Frauenrechte kämpfen?
Meine Haltung hat sich verändert, als nach dem arabischen Frühling die Frauen komplett wieder abgedrängt wurden, nachdem sie sich sehr aktiv an der Freiheitsbewegung beteiligt hatten. Sie haben einen hohen Preis in den Revolutionen gezahlt, ohne die Früchte ihres Einsatzes zu genießen. Das hat mich veranlasst, das Netzwerk syrischer Frauen mitzugründen. Wir hatten anfangs 29 Mitgliedsorganisationen und 200 Einzelmitglieder. Das hat sich etwas aufgelöst, weil immer mehr Menschen ins Ausland gehen, überall in der Welt verstreut sind. Ich bin außerdem Mitglied in der „Initiative syrischer Frauen für Frieden und Demokratie“, die mit der Umsetzung der UN-Resolution 1325 befasst ist.
Was sind die Ziele der Gruppen, und welche Forderungen haben Sie an die Internationale Gemeinschaft?
Das Netzwerk hat sich von der Gründung an immer als eine Ausdrucksform der syrischen Revolution verstanden. Diese Frauen haben sich zusammengetan, um sich und anderen Frauen zu helfen, die in dieser von Regime zerstörten Region leben müssen. Wir befassen uns insbesondere mit politischer Partizipation. Wir als Netzwerk bringen uns nicht selbst direkt in die Politik ein, sondern verstehen uns als Teil der Zivilgesellschaft und versuchen die einzelnen Frauen in die Lage zu bringen, sich selbst zu beteiligen. Das tun wir über Bewusstseins- und Menschenrechtsbildung.
Im letzten Jahr haben wir insbesondere zwei Programme durchgeführt:
Im Medienbereich versuchen wir die Stereotype über Frauen zu verändern. Wir kooperieren mit Onlinemedien, einer syrischen Lokalzeitung, die in der Türkei erscheint, und Radiosendern. Das zweite ist ein Train-the-Trainer-Programm: Lehrer*innen werden im Bereich Menschenrechte geschult, um das Thema in die Schulen zu bringen.
Forderungen an die internationale Gemeinschaft
Welche Unterstützung wünschen Sie sich von der internationalen Gemeinschaft? Aktuell wird darüber diskutiert, Assad in die Friedensverhandlungen einzubeziehen, um den IS zu besiegen. Wie stehen Sie dazu?
Unsere Haltung ist ganz klar: Assad ist die Ursache für den Terrorismus. Er hat den IS stark gemacht. Es ist nicht möglich, den Terror loszuwerden, ohne ihn loszuwerden. Wenn man gegenüber den Syrer*innen von der internationalen Gemeinschaft spricht, löst das nur noch Trauer und Bitterkeit aus. Die Ziele der Menschen waren ganz klar, sie wollten einen demokratischen, zivilen Staat. Und dafür werden sie hingeschlachtet und niedergemetzelt, es werden Fassbomben abgeworfen und Chemiewaffen eingesetzt, und trotzdem sitzt die internationale Gemeinschaft da und schaut nur zu.
Besonders bedauerlich ist, dass jetzt so getan wird, als gäbe es nur zwei Alternativen: das Assad-Regime oder der IS. Das ist einfach nicht wahr. Das ist nicht das, was das syrische Volk will. Es gibt einen dritten Weg. Assad hat Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, er muss ganz klar als Kriegsverbrecher behandelt werden.
Was ist besser: IS oder Assad – was ist das für eine Frage??? Assad hat es geschafft, die internationale Gemeinschaft davon überzeugen, dass er die einzige Alternative ist. Er hat es geschafft, den Terrorismus groß zu machen, indem er eine Atmosphäre der Gewalt geschaffen hat, und indem er über 1.000 Verbrecher freigelassen hat. Menschen, die Terrororganisationen gegründet hatten.
Ich kann mich immer nur wundern, wie die westliche Gesellschaft schluckt, wenn Assad sich als Aufklärer darstellt, der in Europa studiert hat, der eine schöne, gebildete Frau geheiratet hat und wenn er das Volk als ungebildet und rückständig darstellt – vor dem Hintergrund dessen, dass er überhaupt keine Meinungsfreiheit zugelassen hat, keine einzige Initiative der Zivilgesellschaft, aber 12.000 Koranschulen, die ein falsches Verständnis des Islam fördern.
Bei aller Achtung und allem Dank, die ich gegenüber der deutschen und anderen Regierungen vielleicht dafür empfinden mag, dass sie uns aufnehmen: Wir möchten keine Geflüchteten sein, wir gehen, weil wir sonst den sicheren Tod erleiden. In Syrien leben 24 Millionen Menschen – soll Europa die alle aufnehmen? Wäre es nicht besser dafür zu sorgen, dass eine einzige Familie geht und die Fassbomben zu stoppen? Dann kann man diese Menschen retten.
Wie gesagt, ich kann mich über die westliche Gemeinschaft nur wundern. Ein Botschafter hat mir kürzlich gesagt: Wir haben nicht interveniert, weil unsere Erfahrungen in anderen Ländern gezeigt haben, dass das immer zu Katastrophen geführt hat. Da kann ich angesichts der Zahlen, angesichts von Toten und Verletzten, vergewaltigten Frauen, zerstörten Häusern, 2,5 Millionen Kindern, die keinen Zugang zur Bildung haben, nur sagen: Ist das keine Katastrophe? Hätte man das nicht mit der Einrichtung einer sicheren Zone verhindern können?
Das syrische Volk verlangt ja nicht den Einsatz von Bodentruppen. Das wollen wir gar nicht. Aber eine Flugverbotszone. Das hätte doch Schutz bieten und verhindern können, dass in so großen Zahlen Menschen umkommen.
Und auch jetzt noch: Wenn man nur eine einzige sichere Zone einrichten würde, würde das sicher dazu führen, dass Hunderttausende von Syrerinnen und Syrern zurückkehren. Ich habe mit Menschen in den Lagern in Libanon, in der Türkei gesprochen. Sie sagen alle, sie würden zurückgehen, es wäre doch tausendmal besser in Syrien im Zelt zu wohnen als hier.
Aus der journalistischen Perspektive: Was ist Ihr Wunsch an die europäischen Medien? Was können wir Journalist*innen tun?
Zum ersten sollte sich die Berichterstattung auf die syrische Revolution konzentrieren und darauf, dass sie nicht tot ist. Ihre Ideale von Freiheit, Würde und einem demokratischen Staat für alle Syrer*innen existieren weiterhin. Wichtig ist auch zu zeigen, dass das syrische Volk kein Volk von Extremist*innen ist. Wir waren historisch die Wiege der Zivilisation, wir sind eine pluralistische Gesellschaft und haben aufgenommen, wer zu uns gekommen ist.
Und wenn jetzt immer mehr Leute religiöser werden, ist das doch nur verständlich. Nachdem die Menschen die Hoffnung auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft verloren haben, haben sie sich Gott zugewandt. Das ist ihre letzte Zuflucht, nur ein Ausdruck davon, dass die Menschen sich ans Leben klammern. Wir sind ein Volk, das das Leben und die Freiheit liebt. Wir haben 25 Jahre ohne jegliche Freiheiten gelebt, ohne die grundlegendsten Rechte, und als wir es endlich gewagt haben uns zu erheben, wurden wir mit Bomben und Morden empfangen.
Wir werden den Terror nicht besiegen, solange Assad nicht vertrieben ist. Und dann wird das syrische Volk schon selber dafür sorgen, dass es den Terrorismus bekämpft.
Um den Bogen zum Anfang zu schlagen: Lubna Alkanawati hat vorhin in der Diskussion gesagt, dass Frauenpolitik im Krieg marginalisiert wird. Warum kämpfen Sie trotzdem in Frauenorganisationen, warum sind das frauenpolitische Themen?
Insbesondere in patriarchalischen Gesellschaften wie der syrischen werden Umstände wie der Krieg zum Vorwand genommen, um zu sagen: Das kommt später. Dadurch werden die Frauen abgedrängt, sie finden keinen Platz mehr zwischen Bomben und Panzern. Wir sagen aber: Es muss jetzt sein! Der Kampf für Frauenrechte duldet keinen Aufschub. Die syrische Revolution ist ausgezogen, um Menschenrechte zu erkämpfen. Frauenrechte sind ein untrennbarer Bestandteil davon.