Faulenzen als Protest in einer neoliberal-kapitalistischen Gesellschaft: Wir steigen aus.
Ich bin gestresst, als ich zum Workshop laufe. Das vorherige Panel habe ich früher verlassen müssen, weil es aufgrund von Verspätungen später angefangen hat. Mein Plan hat sich verschoben und ich hetze über den Gang. Ein bisschen mehr chillen? Ja, gerne, aber wie? Mit dieser Frage betrete ich den Raum.
Mit ausgezogenen Schuhen und von Decken umwickelt sitzen die Teilnehmenden gemütlich im Kreis und hören Katrin Gottschalk und Sahar Rahimi dabei zu, wie sie die Slackerinnen der Popkultur vorstellen. In Morgenmantel, Jogginghose und lockerer Körperhaltung sitzen sie vorne und sprechen langsam. Es geht um Ilana und Abby aus der Comedy-Central-Serie „Broad City“ oder auch um Olivia und Rachel aus der Webserie „Ackee & Saltfish“ – beste Freundinnen, die miteinander rumhängen und sich dem Leistungszwang entziehen.
Wer auf Google nach faulen Frauen sucht, wird in erster Linie auf stigmatisierende Vorurteile stoßen. Erwerbslose, Rabenmütter und Alkoholikerinnen sind des Internets erste Assoziationen mit Frauen, die nicht nach Selbstoptimierung, altbackenen Geschlechterrollen und Leistung streben. Auch wird dicken Personen Faulheit zugeschrieben.
Nach diesem Input ist aber wirklich Entspannung angesagt. Wir breiten uns mit Decken und Kissen auf Isomatten aus. Auf die Leinwand wird ein knisterndes Kaminfeuer projiziert. Wie lange wir da so liegen, kann ich kaum sagen. Einige schlafen ein und auch ich schalte total ab – auch, wenn ich mich anfangs dagegen gewehrt habe und mich fragte, wann wir endlich weitermachen würden. Es könnte noch eine ganze Stunde so gehen, dachte ich, also: Go with the flow and chill.
Wie nach der Schlussentspannung beim Yoga fühlt sich das Zurückholen in die Realität harsch an. Wir sollen uns in Gruppen zusammensetzen und uns über unsere ganz persönlichen Alltagsbarrieren zum Faulsein unterhalten. Dabei gilt es, konkrete Faulseins-Anregungen aufzuschreiben, wie zum Beispiel: „In der WG den Abwasch nicht machen, wenn du nicht dran bist.“ Die Anregungen oder auch Einladungen zum Faulenzen versteigern wir in einer Auktion mit der gesamten Gruppe. Wer mit guten Argumenten überzeugt, darf die Einladung mitnehmen. In ihrer Gesamtheit funktionieren sie nicht nur wie eine Anleitung, sondern auch wie eine Herausforderung für alle, die mit dem Selbstoptimierungs- und Leistungszwang hadern. Wer zieht es durch?
- Du hast Geburtstag? Backe keinen Kuchen. Lass dir einen schenken.
- Nimm dir eine Hängematte, einen Schaukelstuhl oder ein Sofa.
- Bleibe Freitagabend zuhause.
- Glotze eine Serie.
- Verschenke ein Jahr lang nichts Selbstgebasteltes.
- Sitze fällige Erledigungen aus.
- Kein Leistungsdruck beim Faulsein!
- Sei schamlos faul und zieh andere mit – zum Beispiel bei der Erwerbsarbeit.
- Unterbrich deine Routine.
- Vergleiche dich nicht mit anderen.
- Gönne dir die 1/7-Zeitlösung. Das heißt 1/7 deines Tages, deiner Woche und deines Monats nimmst du dir nichts vor. (Die Tage im Monat können sich auch als Urlaub in einem langfristigen Raum verteilen.)
- Sprich einen Tag lang mit niemandem. Das heißt auch: Keine Gespräche per SMS, Chat oder Mail.
- Geh für einen bestimmten Zeitraum nicht ans Telefon.
- Triff dich zum Abhängen mit anderen – ohne zu reden.
- Vermeide es, die_der Beste zu sein.
- Vergiss einen Geburtstag – oder gratuliere Leuten nicht aus Zwang, sondern nur, wenn es von Herzen kommt.
- Dein Mantra: Andere sind auch faul.
- Enttäusche deine Familie.
- Sage einen Tag lang zu allem „nein“.
- Serviere deinen Gästen Tiefkühlpizza.
- Mach nicht mehr als du musst.
- Style dich nicht für eine Party.
- Lass andere die Arbeit machen.
- Denke mal nur an dich.
- Bleibe einen Tag im Bett, ohne dass du krank bist.
- Lass dein Zimmer unaufgeräumt.
- Lehne ein (schlecht bezahltes) Jobangebot ab. (Gilt vor allem für Freiberufler_innen.)
- Verpasse ruhig mal etwas Tolles.
- Gib etwas ab, was gerade gut genug ist. Du musst nicht immer 100% geben.
Faulheit ermöglicht den Freiraum für das Denken und für die Kreativität. Kunst kann nur entstehen, wenn Zeit zur Reflexion übrig ist. Das zeigt auch das Genre der Verweigerungskunst, zum Beispiel bei den „Readymades“ von Marcel Duchamp, der gleichzeitig Slacker und eine der prägendsten Personen der gegenwärtigen Kunst ist.
Diese Impulse zeigen nicht nur, wie wichtig Faulenzen für die Selbstfürsorge ist, sondern auch ihre Bedeutung für kreatives Schaffen – was zunächst nach einem Paradox klingt. So oder so: In einer leistungsorientierten, kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft, in der Frauen zur dauerhaften (Erwerbs-, Beziehungs-, Sorge-) Arbeit aufgefordert sind, ist die Verweigerung ein politisches Statement. Jedoch spielt gerade hier die Klassenfrage eine große Rolle: Wer kann es sich leisten, sich mit Faulheit zu schmücken, ohne große Sanktionen zu erfahren, und wer nicht? Wer wird aufgrund des eigenen (dicken) Körpers, Rassifizierung und Klassenzugehörigkeit für die Faulheit verurteilt und wer nicht? Denn es ist ein deutliches Privileg, sich nicht ständig gegen Faulseinszuschreibungen wehren und beweisen zu müssen. Das heißt aber nicht, dass wir uns das Nichtstun, die Unproduktivität und das Durchhängen nicht alle verdient haben.