Geschichte anders machen

Unter den kulturellen Aufgaben des Museums versteht man generell die Konservierung und Aufbereitung von Zeitgeschehen und Geschichte. Dabei wird schnell vergessen, dass auch die Institution Museum eine Geschichte hat. Ob in diese auch interveniert werden kann, wurde am Beispiel der aktuellen „Homosexualität_en“ Ausstellung im Schwulen Museum* und Deutschen Historischen Museum diskutiert.

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Museen, wie wir sie heute in der westlichen Welt kennen, sind eng an die Konstruktion nationaler Identitäten in Europa gekoppelt und damit Teil einer gewalttätigen Geschichte hegemonialer Ausschlüsse und Abgrenzungen. Aus den Kuriositätenkabinetten der Renaissance entwickelten sich im Zuge nationalstaatlicher Bestrebungen in den folgenden Jahrhunderten Institutionen, die scharf umgrenzten, wer oder was Teil des jeweiligen kulturellen Erbes war – und wer „anders“ oder zu vernachlässigen war.

Wenn eine der altehrwürdigsten Kultureinrichtungen Deutschlands eine Ausstellung zum Thema Homosexualität_en präsentiert, so könnte man meinen, dass dies auch weitreichende Implikationen für das Selbstverständnis einer Nation hat. Doch kann das Queeren von institutionellen Räumen wirklich funktionieren? Was zählt in diesem Kontext schon als Intervention?

Historisch gesehen, belief sich die Darstellung von Homosexualität lange auf die Markierung des „Perversen“, man denke beispielsweise an die Arbeiten des österreichisch-deutschen Psychiaters und Gerichtsmediziners Krafft-Ebing. Sein Hauptwerk, die Psychopathia Sexualis von 1886, machte sexuelle Vielfalt sichtbar ­– aber schloss beinahe nahtlos an den Grusel des Kuriositätenkabinetts an und beschwor den Horror der bärtigen Frau oder anderer „Abartigkeiten“. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass die reine Sichtbarmachung des „Anderen“ nur dann als queere Intervention gelten kann, wenn das normierende System an sich infrage gestellt wird ­– und nicht wenn Queerness schlichtweg inkludiert wird. Wenn also die Protagonist_innen der Ausstellung nicht Teil der westlichen (in diesem Fall heteronormativen) Geschichte sind, ohne als Kuriosität, medizinische Abweichung oder skandalisiertes Objekt zu fungieren. Lädt uns eine Ausstellung dazu ein, mit bestimmten Codes der Wahrnehmung, des Begehrens, des Denkens zu brechen? Erinnert sie uns daran, wie einseitig dieser normative Code ist?

Eine schwierige Gratwanderung, deren Feinheiten im Rahmen des Panels rege diskutiert wurden. Moderiert von der Soziologin Hannah Fitsch berichteten die Kurator_innen der Ausstellung Birgit Bosold, Dorothée Brill und Detlef Weitz von der Entwicklung und ihrer persönlichen Einschätzung des Projekts. Einleitend erinnerte Fitsch an die Aktionen der Guerilla Girls in den 1980ern, deren Intervention in das Museum ja in Angriffen von außen bestanden hatte, und wies auf die Problematik des Raumes, Sichtbarkeit und Deutungsmacht im zu besprechenden Kontext hin. Inwieweit, fragte sie ihre Gäste, entwickele die Homosexualität_en-Ausstellung nicht nur das Profil einer sexuellen, sondern auch einer politischen Identität, und verweise somit auf eine andere, vielleicht sogar bessere Welt.

Vorab waren die Panelist_innen gebeten worden, ein besonders exemplarisches Ausstellungsobjekt auszuwählen und vorzustellen. Den Auftakt machte Dorothée Brill, deren Beschreibung einer Videoinstallation veranschaulichte, wie die Position der beobachtenden Person Teil der Ausstellung werden und das Beobachten an sich thematisiert werden könnte. „Brontosaurus“ von Sam Taylor-Johnson (Fun Fact: auch die Regisseurin der „Shades of Grey“-Verfilmung) sei keine dezidiert queere Arbeit, sondern entfalte ihr Potential erst im Kontext der Ausstellung. Dabei, so Brill, inszeniere das Spiel mit der Wahrnehmung von Geschlechterkonnotation einen Bruch, der die Dynamik zwischen Betrachterin und Betrachtetem spürbar mache.

Birgit Bosold wusste die politische Positionierung der Ausstellung besonders am Beispiel des Plakats deutlich zu machen. Dieses rief nicht nur einen Einwand seitens des Deutschen Historischen Museums in der ansonsten autark kuratierten Ausstellung hervor, sondern provozierte auch Kritik aus Teilen der schwulen Community. Ersteres argumentierte sinngemäß, dass doch die Ausstellung allein schon zeige, wie sehr queere Realitäten in der Mitte der Gesellschaft angekommen seien, wieso also im Plakat eine solch abnorme, geradezu monströse Darstellung wählen? Auch die schwulen Kritiker schienen sich an diesem (vielleicht zu „effeminierten“?) Bild eines homosexuellen Mannes zu stoßen. Gerade diese scheinbare Provokation, so Bosold, werfe doch die Frage auf, ob die Anerkennung queerer Lebensentwürfe das alleinige Ziel sein könne. Bosold machte ihre Haltung dabei klar deutlich:

Wenn Anerkennung davon abhängt, dass wir uns normalisieren, müsste man das noch mal diskutieren. Sie kann nicht davon abhängen, dass wir bestimmte Werte teilen.

Für Detlef Weitz fand sich das Politische im viel beschworenen Privaten, veranschaulicht an einer Auswahl an Exponaten, die nicht allein objekt-bezogen seien, sondern vielmehr persönlich oder gar „unzeigbar“ wie die umrisshafte Darstellung vermeintlich geheimer Gesten und Codes. Auch die Wahl handschriftlicher Exponatsschilder breche mit der autoritären Geste dieses Museumstandards. Insgesamt seien auch diese Mikro-Interventionen Grenzüberschreitungen, die sich im Bezug auf die Museumspraxis insgesamt gelohnt hätten.

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Allgemein waren sich die Panelist_innen einig, dass das Museum ein besonders gutes Format für Interventionen darstelle. Bosold betonte, dass es sich bei Museen um Räume der kulturellen Repräsentation handle, in denen die heteronormative Dominanz so gut wie ungebrochen sei. Dabei funktionierten sie aber noch immer als Spiegel oder Archiv der Gesellschaft, in denen einige Identitäten scheinbar nicht repräsentierbar seien. Ein Effekt der Ausstellung sei es also, Geschichte anders zu schreiben. Und das, warf Weitz ein, „in dem Haus der Bundesrepublik, das die Deutungshoheit über Geschichte hat“. Dass diese Geschichte bewusst gegendert werden muss und kann wird auch daran deutlich, dass sich die Repräsentation schwuler und lesbischer Identitäten in der Ausstellung die Waage halten – obgleich das Archiv deutlich mehr Artefakte schwuler Geschichte beherbergt. Auch die Sichtbarmachung der Geschichte von Trans*personen war wohl eine kuratorische Herausforderung. Darin, dass Interventionen vor allem auch vor dem Hintergrund eines feministischen Ansatzes funktionieren, waren sich Bosold und Fitsch einig. Bosold, welche die Ausstellung ursprünglich zu lesbischer Geschichte geplant hatte, merkte an:

Man begreift das Phänomen nicht, wenn man nicht versteht, dass es immer auch um Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit ging.

Weitz kam gegen Ende der Diskussion auch auf die Auswahl und Miteinbeziehung verschiedenster Blickwinkel zu sprechen, deren Vielfalt allein er schon als queer empfinde. Brill erläuterte, dass diese Vielfalt bewusst gewählt wurde, um keinen willkürlichen historischen Schlusspunkt zu setzen. Vielmehr sollte eine Art Landschaft skizziert werden, durch die sich die Besuchenden frei bewegen können, ohne vorgebende Chronologie. Bosold ergänzte, dass eben auch die historische Chronologie ein autoritärer Gestus sei, der eine Art kausale Notwendigkeit vorschreibe. Dieser Art von Gesichtsschreibung versuche sich die Ausstellung zu entziehen.

Und das Ende der Geschichte?

Auf die Publikumsfrage, ob eine Sonderausstellung wirklich eine nachhaltige Intervention darstellen könne, antwortete Weitz zunächst mit dem Hinweis, dass die Ausstellung überdurchschnittlich erfolgreich gewesen sei und vor allem innerhalb des deutschen Museumsbetriebs und in den Geschichtswissenschaften Wellen geschlagen habe. Allerdings schränkte auch er ein:

Insofern ist dieser Schritt sicherlich ein Rütteln und nicht das Öffnen dieser Tür, geschweige denn das neue Tapezieren.

Gerade im Kontext des überwältigenden Ausstellungserfolgs, vor allem für das Deutsche Historische Museum, wird jedoch deutlich, was Hannah Fitsch gleich zu Anfang als die zu erwartenden Folgen des „langen Gangs durch die Institutionen“ vermutet hatte. Denn obgleich die Ausstellung großzügig mit Mitteln aus Bund und Ländern gefördert wurde, wurde ihre Konzeption doch argwöhnisch beäugt. Nun jedoch, nach rekordverdächtigen Besucherzahlen, rühmt man sich dieses Indikators dafür, wie progressiv die Bundesrepublik doch sei. Nicht ausgesprochen, aber natürlich impliziert, ist da die Rückständigkeit der „Anderen“. Manche Geschichten ändern sich eben nie.


 

Eine Videodokumentation gibt es hier.