Über Sachsen, insbesondere Dresden, wird derzeit viel gerätselt. Wie kommt es, dass dort rechte, rassistische und antifeministische Strömungen scheinbar besonders stark und laut sind? Was sind die Ursachen, welche Rollen spielen die Frauen, und was kann der Feminismus dieser Entwicklung entgegensetzen? Erkenntnisse und Einschätzungen von Feministinnen aus den Bereichen Politik, Medien, Antirassismus und Aktivismus.
1. Das Problem hat eine lange Entstehungsgeschichte
Petra Schickert berät beim Kulturbüro Sachsen Vereine, Jugendinitiativen und Institutionen im Kampf gegen Rechtsextremismus. Sie sagt:
Das Problem ist hausgemacht.
Zu lange habe die CDU in Sachsen in Alleinherrschaft regiert und viele Probleme dort nicht wahrhaben wollen:
Bestimmte Sachen durften in Sachsen nicht benannt werden. Dass es, besonders in einigen Regionen, ein Rassismusproblem gibt, wissen wir seit Anfang der 90er Jahre, aber das wurde lange unter den Teppich gekehrt.
Bis heute würde in Sachsen nicht explizit von rassistischen und menschenfeindlichen Einstellungen gesprochen. Auch dass rechtes Gedankengut bereits vor der Wende vorhanden war, sei bis heute ein Tabuthema. Schickert plädiert deshalb dafür, Dinge offen und präzise zu benennen statt nur schwammig von „Extremismus“ zu sprechen.
2. Die Politik hat zu lange nicht reagiert
Petra Schickert weist darauf hin, dass bis heute im Osten vielen Menschen recht obrigkeitshörig seien. Die Frage „Was sagt der Staat?“ sei bis heute für viele eine große Orientierung. Institutionen wie Politik und Kirche müssten sich daher klarer positionieren, als sie das bisher tun.
Dieser Meinung ist auch Katja Meier, die für die Grünen im sächsischen Landtag sitzt. Im Gegensatz zum klar ablehnenden Umgang mit der NPD während deren Zeit im Landtag, gingen die Abgeordneten der großen Parteien mit der AfD deutlich sorgloser um: Die Abgeordneten der CDU begegneten deren Vorschlägen, zum Beispiel dem einer Abschaffung der Gleichstellungsbeauftragten, amüsiert bis zustimmend. Die politische Strategie, rechte Gruppen wie NPD oder Pegida einfach zu ignorieren, sei nicht aufgegangen. Aktionen wie der Twitter-Hashtag #IchbinDresden, unter dem sich Dresdener_innen gegen Pegida positionieren, gehen ihr nicht weit genug. Leider sei es vonseiten der Landesregierung nicht gewünscht, dass die Zivilgesellschaft sich einmische oder in einen echten Dialog mit der Politik trete.
3. Dresden ist ein Sonderfall
Dresden, zu DDR-Zeiten „das Tal der Ahnungslosen“ genannt, weil dort kein West-Fernsehen empfangen werden konnte, hat bis heute eine besondere Entwicklung genommen, darin sind sich alle Panelistinnen einig. Viele Vorstellungen, zum Beispiel die Idee eines sorgenden, sich kümmernden Staates, hätten sich dort erhalten und würden von Pegida bedient, glaubt Samirah Kenawi.
Die Journalistin Jennifer Stange beobachtet ähnliches in Bezug auf Dresden: Die Stadt habe „schon lange eine offene Flanke nach rechts“. Das zeige sich vor allem im Umgang mit der Erinnerung an die alliierten Bombenangriffe von 1945. Der 13. Februar, Jahrestag des Auftakts der Bombardierung Dresdens, werde dort regelrecht zelebriert, Naziaufmärsche und bürgerliches Gedenken gingen Hand in Hand. In der Dresdener mündlichen Überlieferung werde nicht nur das Ausmaß der Zerstörung überhöht und mit dem Holocaust gleichgesetzt, sondern auch der eigene Anteil am Nationalsozialismus ignoriert:
Man hat sich gerne als Opfer des Zweiten Weltkriegs gesehen – und das als Deutsche. Man ist also Opfer des Zweiten Weltkriegs geworden, Opfer der DDR geworden, und nach der Wende wurde man dann betrogen und zum Opfer der BRD.
Diesen Opfermythos mache sich jetzt Pegida zunutze, während die bundesdeutsche Öffentlichkeit die Bedeutung dieser Art des Gedenkens massiv unterschätzt habe. Es bedürfe daher einer nachholenden Aufarbeitung des Nationalsozialismus, um die Mythen der Dresdener „oral history“ auszuräumen.
4. Rassismus und Antifeminismus gehen Hand in Hand
Einen Begegnungspunkt von Rassismus und Antifeminismus bilden auch die evangelikalen Gruppen, mit denen Jennifer Stange sich viel befasst. Neben Homophobie und Anti-Abtreibungspropaganda nach dem Vorbild der amerikanischen Pro Life-Bewegung beschäftigen sich diese Gruppen auch mit der vermeintlichen Gefahr des „Genderismus“, ein Begriff, der feministische Anliegen als Angriff auf die heterosexuelle Kleinfamilie und Versuch der Sexualisierung von Kindern interpretiert. Unter dem Vorwand des Eintretens für Frauenrechte hetzen diese Gruppen dann auch gegen Muslim_innen.
5. Rechte und evangelikale Gruppen bieten Frauen etwas, was der Mainstream-Feminismus ihnen nicht bietet
Moderatorin Katrin Gottschalk weist darauf hin, dass ostdeutsche Frauen sich zwar als emanzipiert sehen und feministische Errungenschaften wie Erwerbstätigkeit und reproduktive Freiheit zu DDR-Zeiten selbstverständlich waren. Viele von ihnen sind aber heute trotzdem in rechtskonservativen Bewegungen aktiv.
Jennifer Stange versucht das Paradox zu deuten, was christlich-fundamentalistische und rechte Gruppen Frauen bieten:
Die neue Rechte vertritt eine bestimmte Art des Feminismus, die man jetzt nicht teilen möchte, aber gegen die man sich in Zukunft abgrenzen muss. Die sagen nicht „Wir möchten Karriere und Kinder für Frauen“ sondern „Wir möchten nicht, dass Frauen unter Karriere und Kindern leiden, wir möchten, dass Frauen zuhause bleiben können und das tun, wozu sie geschaffen wurden, nämlich sich um ihre Kinder zu kümmern. Alles andere zerreißt Frauen nur, macht sie emotional und psychisch fertig.“ Das ist ein Angebot an Frauen, die genau so eine Unterstützung suchen.
Samirah Kenawi, Gründerin des Archivs der ostdeutschen Frauenbewegung GrauZone, sieht das ähnlich:
Was wir jetzt haben, diese neue konservative Entwicklung, dass Frauen auch bei den Rechten aktiv sind, erkläre ich mir damit, dass Frauen durchaus eine Sehnsucht danach haben, sich aus dem Arbeitsleben zurückzuziehen und einen männlichen Ernährer zu haben.
Das habe auch damit zu tun, dass die Arbeitsverhältnisse „immer inhumaner“ werden. Die Hinwendung zu einem traditionellen Familienbild sei eine Strategie, sich dieser Arbeitswelt zu entziehen.
6. Es gibt zwar aktive Feminist_innen, die sich gegen Rassismus und Antifeminismus starkmachen …
Katja Meier weist darauf hin, dass in den Parteien durchaus feministischer Widerstand besteht, zum Beispiel gegen den „Marsch für das Leben“ in Annaberg-Buchholz und in Gruppen wie „Pro Choice“, die allerdings eher aus Städten wie Berlin und Leipzig anreisen und sich vor allem im Studierendenmilieu finden. Auch bei Anti-Pegida-Demonstrationen seien Frauen aktiv. Und: Viele aus der „3. Generation Ostdeutschland“ kämen, wie sie selbst, wieder in ihre Heimatregionen zurück und setzten sich dort für eine offene Gesellschaft ein.
Auch Petra Schickert macht die Erfahrung, dass Frauen sich einsetzen. Überdurchschnittlich viele Frauen besuchten zum Beispiel Schulungen für Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren. Viele kämen aber in erster Linie, um sich überhaupt erst einmal zu vergewissern, dass sie mit ihrer Einstellung nicht alleine dastehen. Schickert betont aber auch, dass Ehrenamt nicht alles auffangen kann und soll, und fordert mehr Einsatz von staatlicher Seite.
Samirah Kenawi ist der Meinung, dass feministische Ansätze allein nicht ausreichen: um rechten Strömungen etwas entgegenzusetzen, müssten die ökonomischen Bedingungen der Radikalisierung thematisiert und verändert werden.
Um das Problem des Rassismus zu klären, ist es sicherlich gut über Frauenrechte nachzudenken. Aber wenn wir die ökonomischen Grundlagen, die diese Probleme herbeiführen, nicht beseitigen, dann können wir noch viele Diskussionen über Rassismus führen, wir kommen meines Erachtens nach keinen Zentimeter weiter.
7. … aber viele fehlen auch.
Samirah Kenawi hat beobachtet:
Ich denke, es hat eine gewisse Politikmüdigkeit eingesetzt bei den Frauen und auch Männern, die aus der DDR-Bürgerbewegung kamen, weil zum einen viele Ideen und Konzepte aus der Wendezeit, viele politische und gesellschaftliche Visionen, nicht einmal diskutiert wurden, sondern einfach auf dem Müllplatz der Geschichte gelandet sind. Die Art, wie kurz nach der Wende Politik gemacht wurde, hat viele frustriert und ihnen das Gefühl gegeben: Es ist völlig egal, was wir machen, die machen sowieso, was sie wollen.
Diese fremdbestimmte Politik, zusammen mit der „medialen Entwertung ihres gesamten Lebens“, habe zu großem Frust geführt.
Petra Schickert vermutet ebenfalls, dass mit der Wende ein Bruch entstanden ist:
Es ist aus meiner Perspektive eine Generation ausgefallen. Die, die die Wende mitgestaltet haben, die sehe ich nicht mehr. Viele aus meiner Generation sind wieder in ihren Nischen verschwunden.
Die Elterngeneration fehle, sei vielleicht zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Aktiv seien vor allem die Jüngeren – wenn es sie gibt:
Der ländliche Raum ist geprägt von den alten Geschichten. In Ostsachsen zum Beispiel gehen alle weg, die anders ticken; junge Menschen ziehen nach der Schule in die Städte, und es bleibt da etwas, was sehr sehr eng ist.