Eine der ersten Veranstaltungen der Tagung nähert sich dem Thema aus rechtlicher Perspektive: Die Juristinnen Prof. Dr. Maria Wersig, Juana Remus und Prof. Dr. Nora Markard beleuchten, wie Feminismus und Recht im Zusammenhang stehen, und stellen Forderungen auf, um feministische Belange auf den Gebieten Care-Arbeit, Dritte Option und Asylrecht voranzubringen.
1. Care-Arbeit aufwerten und Care-Arbeitende besser schützen
Prof. Dr. Maria Wersig von der FH Dortmund beschäftigt sich mit Sozial- und Familienrecht. Als großes feministisches Thema sieht sie den Bereich Care-Arbeit, das heißt die Versorgung und Betreuung vor allem von Kindern und pflegebedürftigen Menschen. Dieser Bereich wird oft Frauen* als „natürliche“ Aufgabe zugeordnet und im privaten Bereich unsichtbar gemacht. Entsprechend gering ist die wirtschaftliche und gesellschaftliche Wertschätzung dieser Arbeit: Menschen, die pflegen, verdienen dabei oft wenig oder gar nichts, müssen beruflich zurückstecken und um ihre eigene Rentenversorgung bangen.
Maria Wersig fordert daher eine gesellschaftliche Aufwertung der Care-Arbeit mit entsprechenden wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Konsequenzen. Dazu gehört ihrer Meinung nach ein Ausbau öffentlich finanzierter Angebote und eine Debatte über die Professionalisierung und Bezahlung dieser überwiegend weiblich besetzten Berufe und eine Verbesserung der Absicherung unbezahlter Care-Arbeit, zum Beispiel durch ein vom Deutschen Juristinnenbund gefordertes Wahlarbeitszeitgesetz, das es Arbeitnehmern erlaubt, selbst zu bestimmen, wieviel sie arbeiten möchten.
Ein großer Teil der Care-Arbeit wird inzwischen auch von Migrant_innen übernommen, oft zu prekären Bedingungen: Lange Arbeitszeiten, geringe Bezahlung und keine Teilhabe am Sozialversicherungssystem sind hier verbreitet. Deutschland müsse migrantischen Care-Arbeitenden gleiche Rechte einräumen und vor allem mehr für die Durchsetzung dieser Rechte tun, zum Beispiel durch einen Ausbau von Beratungsangeboten oder Verbandsklagerechte.
2. Den Eintrag des Geschlechts im Personenstandsgesetz abschaffen und nicht-binären Geschlechteridentitäten mehr Raum geben
Juana Remus befasst sich in ihrem Input mit der Konstruktion des Geschlechts durch Recht und den entsprechenden Folgen für inter- und transsexuelle Menschen. Einen wichtigen Ansatzpunkt zum Schutz dieser Gruppen sieht sie darin, die Eintragung des Geschlechts in das Personenstandsregister aufzuheben, um auch nicht-binären Geschlechteridentitäten gerecht zu werden.
„Ich halte es für geboten, dass wir zum einen den Geschlechtseintrag im Personenstandsrecht für jeden Menschen abschaffen und streichen. Desweiteren benötigen wir ein sogenanntes Geschlechtsidentitätsgesetz, wonach man freiwillig, ohne gerichtlichen Aufwand und vor allem ohne medizinische Begutachtung oder andere Maßnahmen den Vornamen einer Person unproblematisch dem Geschlecht der Person anpassen kann. Ich fordere außerdem ein sogenanntes Offenbarungsverbot, wie es das heute schon im sogenannten Transsexuellengesetz gibt, wobei dieses mit anderen Regelungen wie zum Beispiel dem Abstammungsrecht im Einklang stehen muss.“
Eine Möglichkeit, nicht-binäre Geschlechteridentitäten einzubeziehen, wäre die Kategorie inter/divers als Geschlechtseintrag, für die sich die Kampagne Dritte Option einsetzt. Die seit 2013 geltende Regelung, dass ein Neugeborenes ohne Geschlecht registriert werden kann, wenn eine biologische Zuordnung nicht eindeutig möglich ist, geht Kritikern nicht weit genug: Zum einen seien die Folgen eines solchen offenen Geschlechtseintrags nicht durchdacht, zum Beispiel was die Themen Ehe und gleichgeschlechtliche Partnerschaft angeht. Zum anderen protestierten Interpersonen, dass sie „das Offenlassen des Geschlechtseintrags eher als ein Nichtexistieren“ empfinden. Weiterhin nicht berücksichtigt sei dabei die Thematik der genitalverändernden Eingriffe an Kindern, die nach Juana Remus‘ Meinung verboten werden sollten.
Für langfristig sinnvoll hält Juana Remus es außerdem, geschlechtsneutrale Normen in allen anderen Gesetzen einzuführen, um der binären Zuordnung männlich/weiblich weniger juristische Bedeutung zuzumessen – ein Gesetz wie das Mutterschutzgesetz könnte demnach Gebärendenschutzgesetz heißen.
3. Geflüchtete Frauen* wahrnehmen und schützen
Prof. Dr. Nora Markard von der Universität Hamburg weist darauf hin, dass die Genfer Flüchtlingskonvention Geschlecht nicht explizit als Verfolgungsgrund nennt und zudem Verfolgung ursprünglich nur als vom Staat in der öffentlichen Sphäre ausgeübte Gewalt interpretierte, nicht jedoch als etwas, was auch im Privaten stattfinden kann, z.B. in Form von häuslicher und sexualisierter Gewalt. Sie zieht daraus den Schluss, dass das Asylrecht Frauen* und ihre Situation nicht ausreichend wahrnimmt und schützt.
Auch wenn sexualisierte Gewalt und sexistische Diskriminierung sowie Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität inzwischen als Verfolgungsgrund anerkannt sind, gibt es Nora Markard zufolge hier nach wie vor Verbesserungsbedarf. So seien Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Identität verfolgt werden, oft den stereotypen Erwartungen der Beamten von einer „echten Lesbe“ oder einem „arabischen Schwulen“ ausgesetzt. Sie fordert daher ein nichtessenzialistisches Verständnis von Diskriminierungskategorien:
„Das heißt dass wir nicht schauen, wer gehört zur Gruppe gegen die diskriminiert wird, sondern wer ist von diskriminierenden Strukturen betroffen, die auf Gruppenkategorien rekurrieren. Das öffnet den Raum für Personen, die diesen typischen Gruppen nicht zugehörig sind.“
Weiterhin fordert Markard, Geflüchtete Frauen* individueller wahrzunehmen, zum Beispiel indem Frauen einzeln geprüft und von geschultem Personal befragt werden, anstatt nur nach Befragung ihres Ehemannes Familienasyl gewährt zu bekommen. Auch gelten für Frauen* vor, während und nach der Flucht oft andere Bedingungen und zusätzliche Gefahren, zum Beispiel der sexualisierten Gewalt.
„Wir brauchen in der Flüchtlingsunterkunft Gewaltschutz auch gegen sexualisierte und häusliche Gewalt, wir brauchen ein systematisches Screening nach besonderer Schutzbedürftigkeit für Gewaltbetroffene.“
Da ein weitaus geringerer Teil der weiblichen Flüchtlinge es überhaupt nach Europa schaffe und in die Position komme, sich dort ein neues Leben aufzubauen, müsse es sichere Fluchtwege nach Europa geben, um flüchtende Frauen* zu schützen.
4. Weiterkämpfen!
Abschließend stellen die Sprecherinnen fest, dass ihre scheinbar so unterschiedlichen Themen eine Vielzahl an Überschneidungspunkten bieten, zum Beispiel, wenn es darum geht, bei der Integration von Migrant_innen in den Arbeitsmarkt einer Prekarisierung vorzubeugen. Einig sind sich alle drei, dass es für den Feminismus noch viel zu tun gibt. Auch wenn Recht dabei ein guter Ansatzpunkt sei, betont Nora Markard, müsse der Feminismus weiterhin auch gesellschaftlichen Druck aufbauen, um etwas zu bewegen.
Juana Remus sieht den Feminismus auf einem guten Weg:
„Ich bin dankbar um die feministischen Kämpfe des 20. Jahrhunderts und freue mich auf die des 21. Jahrhunderts und glaube, dass das genauere Hinschauen und das stärker intersektionale Denken uns auch diesbezüglich sehr weiterbringen wird.“
Auch Maria Wersigs Ausblick fällt trotz aller anstehenden Kämpfe optimistisch aus:
„Das 21. Jahrhundert ist unser Jahrhundert des Feminismus.“