Kultur für wen?

Im deutschen Kulturbetrieb gibt es massive Defizite hinsichtlich der Diversität. Doch es sind nicht nur Frauen*, die unterrepräsentiert sind.

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Wenn es um den deutschen Kulturbetrieb geht, fallen mir zunächst einmal Defizite auf. Nicht nur die Anzahl weißer Cismänner ist erschütternd hoch, auch sind die Inhalte aus emanzipatorischer Sicht deprimierend. Was überwiegt, sind nicht Unterhaltung und ein guter Input, sondern Sexismus, Rassismus, Heteronormativität, Cissexismus, Klassismus und Ableismus. Wer aus der konstruierten Norm herausfällt, wird mit einem hegemonialen Blick betrachtet – ein Blick, der entmächtigend repräsentiert.

Würde sich dies ändern, wenn wir eine Frauen*quote im Kulturbetrieb einführen? Würden die Inhalte sich verbessern, wenn jede zweite Regie, Intendanz, Band auf Festival-Line-Ups, für Preise nominierte Künstler_in mindestens eine Frau* dabei hätte? Darüber können wir nur spekulieren.

Nicht jede Frau* verortet sich feministisch, geschweige denn arbeitet so. Feministische Arbeit im Kulturbetrieb sieht für mich so aus: Frauen* verteilen Ressourcen untereinander, achten auf unterschiedliche Positionen innerhalb des Teams, setzen sich kritisch mit kapitalistischen, neoliberalen Strukturen und im Endprodukt mit Gesellschaftskritik auseinander – das kann auch sehr, sehr subtil sein. Würde bei so einer Arbeit ein bedingungsloses Grundeinkommen helfen? Definitiv. Zeit, Geld und Energie wachsen schließlich nicht durch Facebook-Likes, auch, wenn das sehr schön wäre.

Eine Frauen*quote allein reicht aber nicht aus. Der deutsche Kulturbetrieb ist wie ein gedeckter Tisch, auf dem es kaum Variation gibt. Dazu muss zum Beispiel auch mit der Küche und mit dem Personal gesprochen werden. Sensiblisierungsseminare für Ausbildende, Juror_innen, Produktionsfirmen, Theaterkollektive und auch Politiker_innen sind nötig, um überhaupt erst mal das Diversity-Problem zu verdeutlichen und dann bessere Strategien zu entwickeln. Sichtbar werden eindimensionale Drehbücher zum Beispiel durch den Bechdel-Test oder den Racial Bechdel-Test. Eine große Anzahl als Klassiker geltender Filme würden durch beide dieser Tests fallen. Wie würde sich der Konsum verändern, wenn neben dem FSK-Symbol solche Testergebnisse stünden?

Auch stelle ich mir die Frage, ob ein komplett weißes Panel diesem Thema gerecht werden kann. Dies ist kein Angriff auf die Podiumsgäste, sondern eine Kritik daran, was wir eigentlich meinen, wenn wir über den Kulturbetrieb oder die Kultur sprechen. Schließt diese auch Personen of Color ein? Wenn ja, wie? In Alibi-Funktion als türkische Nachbar_innen in sonst weißen Plots? Als Antagonist_innen in Krimiserien?

Letzte Woche veranstaltete das Bündnis kritischer Kulturpraktiker_innen eine Konferenz über eine diskriminierungskritische Kunst- und Kulturszene. Ich durfte bei der Eröffnung einen Input-Talk über Diskriminierung im Kunst- und Kulturbetrieb sprechen – und in diesem Zusammenhang ist Sexismus nicht das einzige Problem, mit dem wir akut umgehen müssen. Nicht nur Frauen*, sondern auch nicht-binäre Personen oder Transpersonen im Allgemeinen (denn ein Mann wird ja mit einem Cismann gleichgesetzt), Personen mit sichtbaren Behinderungen, Schwarze Personen und Personen of Color müssen gefördert werden. Vielleicht hilft hier keine Quote, sondern eher neue Strukturen. Wir müssen intersektionaler denken, wenn wir ein zeitgemäßes, qualitativ hochwertiges und innovatives Medienangebot wollen.

Auf dem Panel „Mission Im_Possible: Frauen* im Kulturbetrieb“ diente mal wieder Schweden als progressives Modellbeispiel. Das stimmt: Allein das Fernsehprogramm dort ist Deutschland wirklich um einige Schritte voraus – so auch in Großbritannien. Das liegt aber auch daran, dass die Gesellschaft dort zumindest in feministischen Fragen weiter ist. Ich denke: Jede Bevölkerung hat das Kulturangebot, das sie verdient. Deutschland war nie für einen besonders guten Geschmack bekannt – ich spreche nicht von kleinen avantgardistischen Szenen, sondern vom Durchschnitt. Das zeigen nicht nur Modegeschäfte, sondern auch Einschaltquoten und die Musik-Charts. Gewiss: Ein breiteres Kulturangebot kann auch die Bevölkerung politisieren – das passiert bereits ohnehin, nur eben in eine beschissene Richtung, wie RTL & Co. täglich beweisen.

Frauen* sollten nicht immer nur gut sein müssen, es gibt auch viele Typen, die trotz Talentdefizit erfolgreich sind, sagt die Rapperin Sookee in der Diskussion. Das stimmt. Der Leistungsdruck ist viel höher, wenn Menschen erst mal beweisen müssen, dass sie eine Bühne verdienen. Das ist Quatsch, so macht Kultur nämlich auch keinen Spaß. Es sollte Raum für künstlerisches Scheitern und Experimente geben.

Nicht alle Frauen* machen Arbeit, mit der sich eine Feministin solidarisieren muss, so die Theaterregisseurin Tatjana Turanskyj. Natürlich nicht: Die Frau™ gibt es nicht. Männer mögen auch nicht alles, was andere Männer machen.

Vielleicht sollten wir für drei Jahre als Test-Modell eine 50/50-Quote einführen und schauen, wie es wird, schlägt  Tanja Krone vor. Ich sage: Vielleicht sollten wir eine Quote von maximal 30% weißer Typen einführen und den Rest auf Personen of Color aller Gender aufteilen. Der gedeckte Tisch einer deprimierenden Kulturlandschaft verändert sich nicht, indem wir ein paar Gläser austauschen. Wir müssen den Tisch komplett abräumen und neu decken.


Eine Videoaufnahme von „Mission Im_Possible: Frauen* im Kulturbetrieb“ gibt es hier im Stream.