Schon seltsam, wenn die Hassredner direkt im Publikum sitzen: Im Anschluss an die Diskussion meldete sich sogleich ein antifeministischer Blogger aus der zweiten Reihe zu Wort.
Er ist nur einer von vielen. Shitstorms, Beleidigungen, Anfeindungen, Stalking und Cybermobbing, manchmal sogar über das Netz hinausgehende Angriffe: Wer sich im Netz (queer)feministisch positioniert, kann schon fast damit rechnen, davon getroffen zu werden. Feminist_innen wehren sich auf unterschiedliche Weise: Die Videobloggerin Anita Sarkeesian liest öffentlich die hasserfüllten Kommentare vor, die sie erhält, auf der Seite hatr.org werden rassistische und sexistische Hasskommentare gesammelt und publik gemacht.
Trotz dieser Möglichkeiten haben digitale Angriffe häufig dramatische Auswirkungen auf die Angegriffenen. Von posttraumatischen Belastungsstörungen über Depressionen bis hin zum Suizid reichen die Folgen. In dieser Analyse sind sich die Diskussionsteilnehmer_innen einig. Was aber dagegen zu tun ist, dazu gibt es unterschiedliche Meinungen.
Moderiert von der freien Journalistin Hannah Beitzer sprachen
- Dagmar Freudenberg, Vorsitzende der Kommission Strafrecht des Deutschen Juristinnenbundes,
- Julia Schramm, Amadeo Antonio Stiftung und
- Malte Spitz, Bündnis 90/Die Grünen
über ihre Ansätze, Cybermobbing und anderen Formen digitaler Gewalt zu begegnen.
Der zentrale Gegensatz: Gesetzesverschärfungen versus konsequente Anwendung bestehender Regelungen.
Dagmar Freudenberg als Staatsanwältin vertritt eine klare Position:
- Die bestehenden Gesetze wurden für die analoge Welt entwickelt und reichen nicht aus. Denn
- Angriffe im Netz bleiben jahre- oder jahrzehntelang bestehen.
- Sie werden weitergeleitet und kopiert.
- Sie haben oft Folgen in der analogen Welt.
Anwenden lassen sich Straftatbestände wie Verleumdung, Beleidigung oder „Nachstellung“ (Stalking). Sie sind aber mit einem sehr geringen Strafmaß belegt, die Fälle werden oft als Bagatelle eingestuft. Ein Straftatbestand Mobbing fehlt bisher völlig.
Ihr Ansatz:
„Selbstverpflichtungen der Betreiber reichen nicht aus. Gesetze müssen auch durchgesetzt werden können.“
Deshalb plädiert sie für Regelungen, die eine strafrechtliche Verfolgung der Täter_innen zulassen. Das heißt: Autor_innen müssen ermittelt werden können. Denn wenn eine Zuordnung des Gerätes zu einem Nutzer nicht möglich ist, besteht keinerlei Handlungsmöglichkeit. Eine Möglichkeit sieht sie in der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung. Außerdem:
„Beim Geld sind alle empfindlich. Betreiberhaftung könnte eine Möglichkeit sein.“
Betreiber von Seiten zur Löschung problematischer Inhalte zu verpflichten oder Konzerne zur Installierung einer juristischen Vertretung in jedem Land zu verpflichten, darin sieht sie mögliche juristische Schritte.
Julia Schramm, die während ihrer Mitgliedschaft in der Piratenpartei selbst dramatische Erfahrungen mit Cybermobbing gemacht hat und lange unter posttraumatischen Belastungstörungen litt, beschreibt ihre negativen Erfahrungen mit den Behörden: Anzeigen wurden nicht ernstgenommen oder Polizeibeamt_innen legten ihr nahe, doch einfach nicht mehr im Netz präsent zu sein. Bei einem auf die digitalen Angriffe folgenden Einbruch hieß es lapidar:
„Kaufen Sie sich doch mal ein ordentliches Schloss.“
Ihr Vorschlag: Ein großer Schritt wäre schon die Senkung von Hürden, um Anzeige erstatten zu können. Bisher ist das ein großer Zeit- und Arbeitsaufwand. Außerdem spricht sie sich für die Schulung von Polizist_innen aus, damit sie Betroffene ernster nehmen.
Malte Spitz kennt derartige Angriffe auch – er nennt unter anderem das Beispiel Claudia Roth, die als stark polarisierende Person vielerlei Angriffen ausgesetzt ist. Auch in seinem Umfeld ist die Erfahrung mit der Strafverfolgung eher ernüchternd: In den meisten Fällen kam es zu keiner Verurteilung.
Trotzdem spricht er sich ebenso wie Schramm gegen die Vorratsdatenspeicherung aus, auch gegen jegliche Aufnahme von Daten: Damit werde die Freiheit des Netzes komplett ausgehebelt:
„Wollen wir wirklich in einer Gesellschaft leben, die keine freie Kommunikation mehr möglich macht?“
Seine Ideen: Es könnten Schwerpunktstaatanwaltschaften gebildet werden, die sich nur mit Cybermobbing beschäftigen. Musterprozesse, die zu einem hohen Strafmaß führen, könnten abschreckende Wirkung haben. Dazu verweist er auf das Beispiel eines rassistischen Faceboook-Kommentators, der kürzlich verurteilt wurde. Er glaubt, mit Sensibilisierungsmaßnahmen für die Mitarbeitenden der Betreiber_innen könne mehr Selbstkontrolle durchgesetzt werden.
Schramm ist ähnlicher Auffassung. Und sie problematisiert außerdem die Erwartung, der Staat könne sich als Verbündeter erweisen – im Netz drückten sich die gleichen hegemonialen Diskurse aus, die auch offline regierten – weder der Staat noch kapitalistische Unternehmen hätten ein Interesse an einer kritischen Auseinandersetzung damit. Als Mitarbeiterin von No-Nazi.net weiß Schramm, dass die großen Provider kein inhaltliches Interesse an der Unterbindung von sexistischen oder rassistischen Kommentaren haben. Öffentliche Aufmerksamkeit könne aber genutzt werden:
„Provider schmücken sich gern mit der Zusammenarbeit“.
Freudenberg bestätigt zwar, dass Angriffe im Netz noch viel zu selten ernst genommen würden. Eine anonyme Opferbefragung des LKA Niedersachsen habe gezeigt, dass unter 10 Prozent aller Cyberdelikte angezeigt werden – mit der Begründung, dass die Betroffenen sich nichts von einer Anzeige versprechen.
Sie setzt darauf, dass das Bewusstsein mit einer veränderten Gesetzgebung auch steigen werde.
„Mich erinnert das an die Diskussionen über häusliche Gewalt vor 20 Jahren. Damals wurde auch gefragt: Gibt es das überhaupt? Brauchen wir das? Erst das Gewaltschutzgesetz führte zur Durchsetzung eine gesellschaftlichen Paradigmenwechsels. Anders wird es hier auch nicht gehen.“
Einig sind sich alle darin, dass ein öffentliches Bewusstsein für die Relevanz des Problems noch fehle – und dringend gefördert werden muss.
Wie relevant das Thema ist, zeigt sich an der ersten Meldung aus dem Publikum: „Wieso denn immer nur gleiche Meinungen zugelassen würden?“, möchte ein Typ wissen. Es müsse doch auch mal darüber diskutiert werden, ob das Phänomen Traumatisierung nicht nur ausgedacht und Frauen selbst schuld an den Angriffen seien. Als er seinen Namen nennt, erkennen ihn viele als im Netz aktiven Maskulisten.
In der Abschlussrunde werden erste Handlungspläne entworfen. So meldet sich ein Vorstandsmitglied des Deutschen Frauenrats:
„Bei einer Verbandsklage würden wir mitmachen.“
Zusammenschlüsse, gemeinsames Vorgehen halten alle für eine gute Idee. So schloss Freudenberg:
„Die Viktimologie zeigt, dass das Gefühl des Alleinseins das Problem verstärkt. Insofern kann ein Zusammenschließen schon helfen“
Dagmar Freudenberg im Interview
httpv://youtu.be/7GsUusUzrqM